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Das Zimmer

Das Zimmer

Titel: Das Zimmer
Autoren: Andreas Maier
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Militärverwaltung zusammen, ich kenne noch die Fotos, die damals entstanden sind zu einer Zeit, da sich J., damals Ende zwanzig, wie im Himmel gefühlt haben muß, nämlich Seite an Seite mit ordenübersäten, ranghohen US-Militärs, in Bad Nauheim und mitten in der Heimat, die jetzt zur großen Welt gehörte, sogar das Haus in der Uhlandstraße hatten sie zurückgegeben, es war konfisziert gewesen, und man war erst vor ein paar Jahren wieder aus Friedberg zurück ins nunmehr restituierte Haus gezogen. Da sitzt er, J., dürr, mit seinen riesigen Ohren und den nachtschwarzen Augenbrauen, mit demselben fettigen Seitenscheitel, den er auch schon als Kind hatte, und ist schon wieder ein Kind geworden zwischen all den Amerikanern und staunt und darf auch selbst dazugehören, urplötzlich hat dieser Oberfinanzpräsident die Welt aufgemacht wie eine Zaubertüte, und sie, die Bad Nauheimer, die eben noch besetzt und verjagt waren, sitzen nun am selben Tisch freundlich-gemeinsam mit den höchsten Mitgliedern der regionalen amerikanischen Militärverwaltung, unter deren Aufsicht das ganze Land und eigentlich alles überhaupt erst aufgebaut worden ist. Manche tragen sogar Waffen. Kommen mit Jeeps vorgefahren, haben Leibwachen. Lebende, echte, mit Schutzwesten versehene Leibwachen. Leibwachen am Eingang der Uhlandstraße 18! Das Zentrum der Welt. Oder der Oberfinanzpräsident hat Geburtstag, dann fahren sie alle, die Schwester, der kleine Bruder, die Mutter und der Vater, nach Frankfurt am Mainund sitzen dann in einem großen Saal, und dann ist da noch viel mehr und noch viel ranghöheres amerikanisches Militär und mein Onkel mitten darunter. Die Fotografien werden allesamt im Bücherschrank im Wohnzimmer der Uhlandstraße verwahrt, fein säuberlich in Alben eingeklebt und gewichtig beschriftet, mit General Smith, Grillparzerstraße, 25. 4. 59, mit General Miller, Oberkommandeur von soundso, Garten Grillparzerstraße, 18. Mai 1959, weiße Kreideschrift auf schwarzem oder dunkelbraunem Karton. Da ist dann mein Onkel oft zu sehen. Das war eine große Zeit. Ansonsten, wie gesagt, mochte er Amerikaner nie.
    Nun steht der Schwager im Vorraum, und die Schwester trägt gerade mich auf dem Arm. Und mein Onkel kommt herein und findet uns gleich im ersten Augenblick vor. Die Schwester begrüßt ihn freundlich, aber sie hat nicht viel Zeit und muß sich um mich kümmern, vielleicht muß ich irgendwo hingebracht werden, zu einer Untersuchung, vielleicht bekomme ich einen Zahn, und der Doktor soll es sich anschauen. Oder die Mutter muß etwas einkaufen und hat mich deshalb dabei. Und jetzt ist es gerade heute so, daß auch J.s Mutter ausgerechnet am späteren Nachmittag noch wegen irgendeiner Verabredung, eines Besuchs zum Friseur muß. Und auch noch einkaufen muß. Oder vielleicht muß etwas in Friedberg auf dem Friedhof erledigt werden. Es müssen Blumen beim Blumensiebert geholt werden, und dann muß man die Gießkanne nehmen und überhaupt die Pflanzen am Grab generell ein bißchen gießen, dazu sind sie gestern und vorgestern und vorvorgestern nicht gekommen (sie haben ja auch die ganze Arbeit, die Firma und drei Kinder), und das kann heute eben nur J. machen, weil seine Mutter zum Friseur und die Schwester eigentlich schon wieder in der Firma oder beim Zahnarzt undsoweiter.
    Also sagt der Schwager: J., fahr doch mal schnell nach Friedberg zum Blumensiebert, bring die Blumen auf den Friedhof und gieß dort das Grab, und anschließend holst du deine Schwester von der Firma ab, und deine Mutter kannst du dann gleich noch zum Friseur bringen, um halb sechs hat sie einen Termin, du hast ja nichts zu tun und den ganzen Nachmittag frei. Manchmal macht J. den Fehler zu murmeln, eigentlich habe er ins Forsthaus Winterstein gehen wollen. Ins Forsthaus Winterstein gehst du doch oft genug, du kannst doch nicht jeden Tag ins Forsthaus Winterstein gehen, im übrigen kannst du ja später noch ins Forsthaus Winterstein, wenn du unbedingt mußt. Mußt du denn immer in die Wirtschaft gehen? sagt dann der Schwager, wie es nicht einmal J.s eigener Vater gesagt hätte. Sein Schwager hat keinerlei Interesse am Forsthaus Winterstein und dergleichen Dingen. Und er hat ja auch nie Zeit für so etwas und ist auch jetzt auf dem Sprung, und schon löst sich diekleine Szene im Vorraum wieder auf, Schwager und Schwester hinaus, und J. steht mit gebuckeltem Rücken im Vorraum, seine Augenbrauen ziehen sich zusammen und bilden eine Zornesfalte, die Augen verengen
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