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Das Zimmer

Das Zimmer

Titel: Das Zimmer
Autoren: Andreas Maier
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sich zu Schlitzen, und aus seinem Mund bricht das bereits bekannte Zischeln hervor, so haßerfüllt, als würde er gleich das nächste Messer in die Hand nehmen, aus dem Haus hinauslaufen und die gesamte Wetterau töten und niedermetzeln und akribisch schlachten und alle in gleich große Teile schneiden. Nun läuft er zu seiner Mutter, meiner Großmutter, die sich in der Küche befindet und wie meistens etwas vorbereitet, sei es den Sauerbraten fürs Wochenende, sei es den Kaffee für J., sei es, daß sie einkocht oder einweckt. Bei seiner Mutter (meiner Großmutter) kann er sich beschweren, solange es kein anderer hört. So gern habe er ins Forsthaus Winterstein gehen wollen, die ganze Woche seien die Jäger da gewesen, und er habe sich so darauf gefreut, seit dem Wochenende habe er sich darauf gefreut, gestern habe er ja bereits das Auto waschen und seine Schwester vom Kosmetiker abholen müssen und nicht ins Forsthaus Winterstein gehen können, immer müsse er etwas tun, wenn er zum Winterstein wolle, immer müsse er, er sei immer der, auf den alles zurückfällt. Ich könnte platzen vor Wut, sagt er und stampft auf den Boden. Das habe ich ihn oft sagen hören, in einem merkwürdigen Widerspruch zwischen Wutgradund Hochsprachlichkeit: Ich könnte platzen vor Wut. Und er meinte es, glaube ich, stets ganz wörtlich. Der Schwager kommt und sagt, was zu geschehen hat, immer kommt er und sagt, was zu geschehen hat, dabei habe ich mich die ganze Woche darauf gefreut, und ich habe es schon gestern und vorgestern gesagt, daß ich ins Forsthaus Winterstein möchte, so gern möchte. Seine Mutter beruhigte ihn mit dem Satz, daß er nun eben zwei Stunden später ins Forsthaus Winterstein gehen könne, dafür könne er auch länger bleiben, das sei doch nicht schlimm. Tatsächlich begriff J. hierauf, daß das nicht so schlimm war, und wahrscheinlich wäre er sowieso erst gegen sechs oder halb sieben zum Forsthaus hinaufgefahren (und vorher wollte er noch in den Frauenwald, nur kurz, nur einmal um die Skiwiesen, vielleicht einen Hasen sehen oder ein Reh, aus dem dann ein Soundsovielender-Hirsch zu machen wäre). J. setzte sich, ließ sich von seiner Mutter in ihrer Kittelschürze einen Kaffee einschenken und ein Stück Sandkuchen hinlegen und sagte, mit der Kuchengabel wedelnd und sie anschauend wie ein Philosoph, der gerade seine Erkenntnis hat: Wenn ich die Ursel um fünf Uhr abhole, kann ich gegen viertel nach sechs oben am Frauenwald sein, dann bin ich gegen halb acht auf dem Winterstein, spätestens um acht. Gell, das reicht noch, sagt die Mutter, da hast du noch gut zwei Stunden im Forsthaus. Da kann ich wenigstens noch zwei Stunden imForsthaus bleiben, sagt J. Und, plötzlich unternehmungslustig und guter Laune, sagt er, länger habe er ohnehin nicht bleiben wollen, schließlich müsse er morgen wieder nach Frankfurt und um drei Uhr früh aufstehen. Dann mußt du dich, sagt die Mutter (meine Großmutter, und ich bin nicht dabei, sondern befinde mich gerade auf dem Arm meiner Mutter im Dienstwagen meines Vaters auf dem Weg nach Friedberg zum Zahnarzt und vielleicht noch zur Firma und zur Baustelle des Hauses, kann noch gar nicht sprechen, habe noch keinen Satz in meinem Leben und überhaupt noch kein Wort von mir gegeben und kann mir dennoch alles das jetzt gar nicht anders vorstellen), dann mußt du dich jetzt aber hinlegen, und in einer Stunde fährst du nach Friedberg zum Blumensiebert, gehst auf den Friedhof, dann holst du die Ursel, bringst sie nach Hause, dann holst du mich ab und fährst mich noch schnell zum Friseur. Die Ursel hat doch auch soviel getan für dich, und ihr Mann tut doch auch soviel für uns, da können wir nur glücklich sein, was wären wir ohne Ursels Mann, jetzt, wo alle Männer tot sind. J. trinkt nun seinen Kaffee und ißt den Sandkuchen und hat schon alles wieder vergessen (eben noch war er Patriarch gewesen, jetzt ist er wieder J. Boll).
    J. rührt einen Löffel Raffinadezucker in den Kaffee mit Kondensmilch, der eine ganz ähnliche Farbe aufweist wie J.s Hemden oder sein Variant, dannrührt er einen zweiten Löffel hinein, so gehäuft wie möglich, vorsichtig den Löffel von der Zuckerdose zur Kaffeetasse hinüber, dann einen dritten, und anschließend noch einmal zwei, bis sich der Kaffee in eine Art Sirup verwandelt, wie jedesmal, wenn Onkel J. Kaffee trinkt. Die Mutter steht am Herd. Damals lief sie immer in einer Kittelschürze herum, wie die gesamte weibliche Wetterau. Nur als Elvis
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