Das Zimmermaedchen
davor.«
»Ja, dein ganzer Körper schmeckt nach Seife.«
»Ist das o.k.?«
»Sehr.«
»Gibt es dreckige Kunden, ich meine, ist das nicht irgendwie eklig manchmal?«
»Nein. Die müssen sich immer vorher waschen.«
»Verlangst du das?«
»Ist das Mindeste.«
Schweigen, kurz.
»Da ist was passiert«, sagt Lynn. »Mit mir. Ich hätte nie gedacht, ich meine, wenn du hier bist, dann … Nimm mich in den Arm.«
»Hör zu, ich muss los.«
»Bleib noch länger.«
»Ich hab ein Date.«
»Lass es sausen.«
Chiara ist schon angezogen, sie seufzt, schaut auf die Uhr. »Beeil dich«, sagt sie.
Lynn überlegt nicht lange.
Sie steht dort wie auf einem Turm.
Lässt sich fallen.
»Zwei Wochen«, sagt Lynn.
»Was meinst du?«
»Ich zahl dir alles. Lass uns sagen: Urlaub. Nur wir zwei. Als wären wir Freundinnen. Ich will dich kennenlernen.«
Chiara schweigt.
»Der Flug geht nächsten Samstag. Wir müssten um acht am Bahnhof sein.«
»Du hast schon Tickets?«, fragt Chiara.
»Ich war im Reisebüro.«
»Auf welchen Namen denn?«
»Bartholdy. Du musst nur deinen Ausweis mitbringen.«
»Ich …«
»Nein. Sei still. Denk einfach drüber nach.«
Chiara nickt. Sie sagt nichts. Nur: »Ciao.«
»Ciao.«
Die Tür macht ganz leise klick.
In Lynn ist ein Aufruhr, den sie nicht kennt. Zugleich ist sie wie gelähmt. Schon am Montag muss sie etwas tun. Das Treffen mit Heinz ist weggebrochen wie ein morscher Ast. Lynn sprengt ihre Routine und liegt schon am Abend unterm Bett, Zimmer 308. Diese letzte Woche, denkt Lynn, diese letzte Woche vor der Reise. Sie wirft alle Vorsicht über Bord: Sie muss es nicht beschließen, sie muss es sich nicht vornehmen, sie weiß, dass sie jeden Tag hier verbringen wird, jeden Tag unter einem anderen Bett, die letzten Tage vorm Urlaub. So wird sie am Samstag todmüde sein und im Flugzeug gut schlafen können. Sie liegt unterm Bett eines jungen Manns. Alles an ihm ist schick. Designerschuhe, Designeranzug, Designerhut, Designerkoffer, ja, selbst die Zahnbürste ist keine gewöhnliche Zahnbürste, sondern ein silbernes, elektrisches Gerät. Teures Parfum, Bräunungscreme, seine Socken sind aus Seide, die beidseitigen Reißverschlüsse der Aktentasche treffen sich in der Mitte, die Schuhe, die er auf dem Bett sitzend auszieht, stellt er exakt nebeneinander, im Nu findet er seine Schlafposition, er muss sich nicht hin- und herwälzen, da ist kein Matratzenknarren zu hören, er legt sich ins Bett und liegt gleich so, wie er liegen muss, um einzuschlafen, Lynn hört kein Geräusch mehr, die ganze Nacht, kein Schnarchen, kein Schlafschmatzen, nicht mal ein flaches Atmen, es ist, als sei eine Maschine abgestellt worden, Lynn gruselt ein wenig, und sie ist froh, als die Nacht vorbei ist.
Am Dienstag kommt niemand. Lynn wartet lange unterm Bett. Sie kann nicht schlafen. Vielleicht Vollmond. Lynn ist hundemüde. Fällt in einen Dämmerzustand. Sie ist das Alleinliegen gewohnt. Meist liegt sie drei Stunden allein dort, manchmal auch vier. Sie döst. Sie hat die Augen geschlossen. Einmal, als sie noch klein war, hat sie einen Rasen gekämmt. Sie hat ihren Kamm mit nach draußen genommen, sich hingekniet, und mit dem Kamm ist sie langsam und gleichmäßig durch die kurzen Halme des Rasens gefahren, hat die Halme voneinander getrennt und ist stundenlang dort hin- und hergerutscht, sehen konnte man nichts von dem, was sie tat, aber es hat ihr Spaß gemacht. Manchmal, wenn sie unterm Bett liegt, küsst sie die Holzlatte über ihrer Nase. Lynn kann nichts anderes tun, als ihren Gedanken nachzugehen, den Gedanken nachgehen, denkt Lynn, als ob Gedanken Beine hätten und vor einem herspazieren und man ihnen folgen könnte, um zu sehen, was sie tun. Und sie geht ihren Gedanken nach in die Klinik, in der sie gewesen ist, sechs Monate, erinnert sich an den Ablauf der Tage, der sie schließlich doch noch beruhigt hat, die Regelmäßigkeit der Stunden und Dinge, die zu erledigen gewesen sind, von den Sitzungen über die Übungen und das Essen und das Gruppengespräch, bis hin zu den Nächten in ihrem Zimmer, die sie genauso still und allein verbracht hat wie diese Nacht hier. Sie kriecht jetzt ins Freie, stellt den Fernseher an, legt sich zurück unters Bett, horcht auf die Geräusche aus dem Monitor: ein Auto, eine Tür schlägt zu, Schritte auf einer Treppe. Jedes Bild wird von Geräuschen untermalt, denkt Lynn, ganz so, als würden die Filmemacher den Augen der Menschen nicht trauen. Es sind noch nicht mal
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