Das zweite Gesicht
Der Geruch nach ihrem eigenen Körper, nach ihrem Schweiß.
Sie verlor den Halt, sah den Boden näher kommen, und dann u m schloss das Rot sie w i e eine Faust und brachte
ihre Gedanken zum Schweigen.
*
Sie erwachte in ihrem Bett, in ihrer Wohnung. Sonnenstrahlen fielen zum Fenster herein, und von unten dröhnten Hupen herauf, das Stottern der Motoren und das Klackklack von Pferdegespannen auf dem Straßenpflaster. Immer noch halb betäubt, schob sie die Decke beiseite und sah, dass sie ihr Nachthemd trug. Sie konnte sich nicht erinnern, es angezogen zu haben. Sie konnte sich nicht mal erinnern, wie sie hierher gekommen war, nach Hause, geschweige denn ins Bett.
Sie entsann sich va g e d es Resta u rants, des F l u rs hi n t er der ersten Tür, des roten Lichts hinter der zweiten. Masken – ja, Masken war da gewesen, in einem Z i m m er m it j e m andem zusamm e n, der ihr ähnlich sah.
Chiara setzte sich im Bett auf und sah sich selbst in dem großen Spiegel an der Wand, m it zerrauftem Haar und einem Gesicht, das so h offentlich nie m als von irgendeiner Leinwand herabsc h auen würde. Das weiße Bettzeug war um sie herum zu ein e m W all aufgetür m t . Das Laken lag zusam m engerollt halb u nter i h r, halb über der Bettkante. Es sah aus, als hätte sie getobt im Schlaf, und das m ochte erklären, w eshalb sie Muskelkater hatte und einen mörderisc h en Kopfschmerz.
Das verdam m t e Koks. Aber sie h atte es ja so ge w ollt. H a tt e s i e d a s?
Sie konnte sich kaum erinnern, aber da war ein Schatten von Zwang in ihrem G e dächtnis, so als wäre nicht alles freiwillig geschehen, was geschehen war. Aber was war eigentlich geschehen?
Das Telefon klingelte.
Sie schob ein Bein über die Bettkante, fragte sich, ob es je m als wieder ein Leben ohne Kopfsch m e r zen geben würde, und fand den P a rkettboden so widerlich kalt unter ihren Fußsohlen, dass sie es für eine gute Idee hielt, das Telefon zu ignorieren. Sie ließ sich zurück ins Kissen fallen und presste die Zipfel m it beiden Händen gegen die Ohren, um den Lärm auszusperren.
Das elfte Klingeln war das letzte. Danach war Ruhe.
Was ist heute für ein Tag? Sie versuchte, sich zu erinnern. S a m stag. Ja, natürlich S a m stag. Keine Dreharbeiten. Gott sei D ank.
Sie war gerade wieder e i ngedöst und irrte im Traum durch ein Labyrinth roter K o rridore, als das Telefon aber m als lä u t ete.
Der Teufel hole die m o derne Fer ns precherei, d achte s i e, setzte die F üße unsicher auf den kalten Boden, brachte sich irgendwie zum Aufrechtstehen und fand tranig den Weg ins W o hnzim m er. Dort sank sie aufs Sofa, zog beide Beine an, holte ein paar Mal tief Luft und nahm den Hörer ab.
»Ja ? «
»Chiara? Guten Morgen! Masken hier.«
»Morgen.«
»Sie klingen m üde.«
»Schon m öglich.«
»Haben Sie gut gesc h l afen?«
»Kann sein. Ich kann m i ch nicht besonders gut daran erinnern.«
»Das tut m i r Leid.«
Sie seufzte. » W as wollen Si e ? Ich würde gerne wied e r
ins Bett gehen.« Sie erinner t e sich an seine heruntergelassene Hose a u f einem Teppich und war auf einen Schlag hellwach.
»Ich wollte nur sehen, ob’s Ihnen gut geht«, sagte er.
»Den U m ständen entsprechend.«
»Sie sind m i r nicht böse, oder ? «
»Das weiß ich noch nicht.«
Er lachte, obwohl sie es keineswegs witzig ge m eint hatte.
»Gut, dann will ich m al hoffen, dass die Entsc h eidung zu m einen Gunsten aus f ällt . «
» W as ist in dem Essen gewesen ? «
»Im Essen ? «
»Tun Sie nicht so scheinheilig.«
»Sie haben Kokain genom m en.«
»Ich weiß, wie Kokain wirkt. Aber das war nicht alles.« Sie sah sein Schulterzucken förmlich vor sich. »Möglich, dass sie das Essen ein wenig … würzen. Das ist in diesem Lokal nicht ungewöhnlich. Aber denken Sie nur nicht, ich hätte etwas hineingemischt.«
» W as für eine Art Lokal war das eigentlich ? «
» W ie m einen Sie das ? «.
»Das wissen Sie ganz genau!«
»Ein Restaurant, natürlich. Eines, in d e m man ein paar Extras bekommt.«
» W as waren das für Fra u en?«
Mehrere Sekunden vergingen, bevor er erwidert e :
» W elche Frauen m einen Sie?«
»Die Frauen in den Zimme r n, an diesem Korridor. Ich habe sie gesehen, und ich habe Sie gesehen, Masken!«
W i eder Schweigen, dann: »Ich hab keine Ahnung, wovon Sie s prechen, Chiara. Sie haben den ganzen Abend über den Tisch nicht verlassen.«
»Ich habe … Das ist nicht b eso nd ers wi t z i g, w i rk l
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