Das zweite Gesicht
Kokains anhielt und sie sich im m er noch s e hr schön und sehr schlau und sehr redegewandt fühlte.
Die Frau nahm sie an der Hand und führte sie in einen Rau m , an dessen Wänden Ge m älde hingen, keine pornographischen Motive, sondern Landschaften m i t W i ndmühlen, A l m w iesen und Sanddünen. Die Frau trat vor ein Bild und klappte es an einem v e rborgenen Scharni e r z ur Seite. Dahint e r befand sich ein Guckloch, das, wie Chiara bald herausfand, den Blick in ein angrenzendes Z i m m er gestattete. Auf ein e m Bett saß dort ein Mädchen auf einem älter e n Mann, m assierte sich die Brüste und bewegte sich rhyth m isch vor und zurück; dabei schien es sich in jeder S e kunde seiner W i rkung bewusst zu sein, denn es richtete seine Reize sowohl nach den Blicken des Mannes, als auch na ch dem Guckloch aus.
Chiara schüttelte den Kopf, und d a s Bild wurde wieder zugeklappt. Sie folgte der Frau zum nächsten und konnte zwei Män n er beim Akt beobacht e n. Hinter d em dritten waren es zwei Frauen, die eine trug an e i nem Gürtelband die Nachbildung eines P enis aus E l fenbein.
Nach jedem kurzen Blick lehnte Chiara ab, obgleich sie sich der Faszination des Zuschauens nicht ganz entziehen konnte, zu m al die Hälfte der Paare Kundschaft war wie sie selbst und wo m öglich gar nicht wusste, dass es Beobachter gab. Chiara fragte die Frau nach d er Tür am Ende des Ganges und erwartete ein Stirnrunzeln, vielleicht Argwohn oder die Bitte, zu gehen. Stattdessen aber nickte sie, sagte »Aber selbstver s tändlich« und führte Chiara wieder hinaus auf den Flu r . Ein alter Mann kam ihnen entgegen, an der Hand einen Jungen in D a m enunterwäsche. Beide grüßten höflich, der Alte zog einen i m aginären Hut vor Chiara, dann verschwand das Paar in einem der offen e n Zimmer.
»Sie kennen den Aufpreis ? «, f r agte die Frau Chiara, als sie die Tür am Ende des Korridors erreichten.
Chiara hatte keine Ahnung, nickte aber. Sie schwebte noch im m er auf einer Woge der Euphorie, und nichts, auch keine noch so hohe Sum m e, konnte s i e jetzt noch davon abhalten, herauszufinden, was hinter der T ür lag.
Die Frau klopfte in ei n em festgelegten Rhythmus, dann wurde die Tür von innen geöffnet. Auf den ersten Blick sah es dahinter kaum anders aus als dav o r, ein zweiter Flur, in düsterem Rot gehalten, spärlich beschie n en durch Licht hi n t er La m penschir m en m it kupferfarbenen Fransen. Die Frau verabschiedete sich von Chiara und machte an der Schwelle kehrt, während ein junger Mann in Pagenuniform Chiara die Tür aufhielt, sie m it einer Geste wortlos hereinbat. Führungen gab es in diesem Teil des Salons offenbar nicht, jeder durfte selbst herausfinden, was die Z i m m er zu bieten hatten. Wo m öglich war gerade das ein T e il ihres R e izes.
Hier waren alle Türen geöffnet, wer hierher kam, hatte keine Geheimnisse vor den andere n . Chiara sc h i en es, a l s bewegten sich die Eingänge der Zimmer zu b e iden Seiten des Flures auf sie zu, während sie s elbst auf e i n em Polster aus federnder Luft stand. Sie spürte kau m , dass sie vorwärts ging, und hatte das Gefühl, ihre Blicke nach rechts und links nicht mehr unter K ontrolle zu haben. Sie schaute nur, staunte, blieb s t ehen, um einen längeren Blick in einen Raum zu werfen, auf das Getümmel der Leiber, das Glitzern von Schwe i ß auf nackter Haut, funkelnd wie Rubine im roten Licht.
Irgendwann fiel ihr auf, dass sie alle Frauen hier kannte. Sie unterdrückte einen Anfall von hysterischem Gelächter, ehe ihr das Lachen schließlich im Hals stecken blieb.
Eine Frau warf ekstatisch den Kopf zurück und schüttelte s i ch das Haar a u s dem Gesicht – Chiara erkannte sie. Eine andere r äk elte si ch auf einem Diwan, während ein Mann den Kopf zwischen ihre Schenkel schob – auch sie hatte ein bekanntes Gesicht.
Schauspielerinnen. Sie alle waren Schauspielerinnen. Keine Mädchen aus der zweiten Reihe, die sich hier ein Zubrot verdienten. Es waren die Stars, die Diven, die Göttinnen des Filmpantheons. Dazu ein halbes Dutzend andere, auch Größen des Varietes und des Theaters. Chiara sah eine Opernsängerin, die erst vor kurzem in Verdis Macbeth geglänzt hatte und sich jetzt unter einem schwergewichtigen Monokelträger wand.
Sie tau m elte und sank m it d e m Rücken gegen eine der Wände. Schweiß lief ihr von d e r Stirn in die Augen. Sie f uhr sich m it dem Handrücken durchs Gesicht, wollte weitergehen, aber was das
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