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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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i ch nicht.«
    »Aber es ist die W ahrheit!« Er klang ehrlich, und sie hasste sich, weil er ihre Gewissheit so rasch u nd m it so wenigen Worten ins Wanken br a c h t e. » W irkli c h, Chiara  … Ich m eine, was soll ich sagen? W i r haben an diesem Tisch gesessen, und, ja, wir haben Kokain genommen. Das ist wahr. U nd dann sagten Sie irgendwann, Sie wollten nach Hause. Da waren Sie, um ehrlich zu sein, zie m lich … na ja, nicht m ehr Sie selbst, würde ich sagen. Ich habe Sie nach Hause gebrac h t, b i s zur Haustür. Sie wollten nic h t, dass ich m it raufkom m e und Ihnen helfe.«
    Hel f en? W obei? M i r die Knie auf einem Orienttep p ich wund zu reiben? Aber das sagte sie nicht. » W ie viel Uhr war es da ? «
    » W ie viel Uhr? Keine Ahnung. Halb zwei, vielleicht. Ja, das kom m t hin. Halb zwei.«
    Sie sc h l oss für einen Mo m ent die Augen, öffnete sie wieder, blickte zur offenen Schlafzimmertür hinüber. Das Kleid, das sie gestern getra g en hatte, lag auf dem Boden, Schuhe und Strü m p fe daneben. Hinter dem Türrah m en ragte ein Zipfel ihrer Unter w äsche hervor. Sie konnte sich nicht erinnern, irgendetwas davon ausgezogen zu haben. Aber wenn er es getan hät t e, hätte er ihr dann das Nachthe m d übergezogen?
    »Hören Sie«, sagte er, nachdem si e eine ganze W eile lang geschwiegen hatte, »wir können später noch m al tele f oni e ren. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass m i r der Abend m it Ihnen sehr gefallen hat.«
    W as sollte d as werde n ? Ein Heirats a ntra g ? Sie hätte f a s t  laut aufgelacht.
    Er m achte ihr tatsächlich ein Angebot, wenn auch ein anderes: »Ich bin eigentlich m it Ihnen Essen gegangen, weil ich Sie bitten wollt e , no c h einmal über diesen Vertrag nachzudenken, über den wir gesprochen haben. W i r sind gestern nicht dazu gekommen, darüber zu reden … Aber ich würde Sie im m er noch gerne unter Vertrag neh m en, für drei, vier, fünf Fil m e. Das könnte eine tolle Partnerscha f t werden.« Jetzt kla n g er so, als wäre er erstau n t darüber, dass sie nic h t gleich zusa gt e. Und in einem zu m i ndest hatte er Recht: Für ihre Karri e re m ochte es gut sein, denn Masken hatte ihr versprochen, künstlerisch anspruchsvolle Stoffe für sie zu entwickeln, nicht d i e se ichten Abenteuer- und Liebesgeschichtchen, m it denen sie im Augenblick beschäftigt war.
    »Ich m uss m i r das überlegen«, sagte sie vage. »Ich kann darüber jetzt nicht nachdenken.« Das konnte sie tat s ächlich nicht. Nur eines wusste sie: Nach d em Abend gestern wollte sie Masken vorerst nicht wiedersehen. Vielleicht sagte er die Wahrh e it. Vielleic h t hatte sie sich das alles im Rausch nur eingebildet – und im Grunde sprach alles dafür, nicht wahr? –, aber sie konnte seinen Anblick auf dem Teppi c h nicht vergessen.
    Und den Anblick ihrer Doppelgängerin. Es ging nicht. Nicht jetzt.
    »Sicher«, sagte er, »kein Proble m . Wir reden später.«
    »Bis dann.«
    Sie legte a u f , so schnell, als wä r e der Hörer in ihr e r Hand plötzlich glühend heiß geworden. Dann schleppte sie sich i n s Badezim m er, sah s i ch aus dem Augenwinkel am Spiegel v o rbeisc h l eic h en, gespenstisch weiß v or all dem schwarzen Mar m or. Sie setzte sich auf die Toilette, vergrub eine W eile das Gesicht in den Händen und hoffte  vergeblich, wieder klarer zu werden.
    Schläfrig trat sie vor den S p iegel, hob den Kopf – und sah ihr Spiegelbild grinsen. So teu f lisch breit, als hätte m an die Mundwinkel mit chirurgischen Klammern bis zu den Ohren gezerrt. W e iß blitzten ihre Zähne, und ihre Augen waren Schlitze, tücki s ch verzerrt v o r H ä m e und Hohn.
    Sie prallte zurück. Sp ü rte M ar m or in i h rem Rücken, fühlte, wie die Kälte des S t ei n s durch i h re Glie d er prickelte.
    Noch ein Blick in den Spiegel.
    Sie war wieder sie selbst. Nur eine m üde, e rschöpfte Chiara Mondschein, die im Augenblick so wenig m i t einem Star und Sexsy m bol g e m ein hatte wie die vertrocknete Zimmerpfla n ze auf dem Fenster b rett.
    Gott, dachte sie, was geschieht m it mir?
      
      
      
     
    Fünfzehn
     

    Es war ein offenes Gehei m nis, dass die Pro m inenz, vor allem aber die Stars u nd S t ernchen des Filmgeschäfts, rund um den Sachsenplatz ihre Liebesnester unterhielten.
    »Sexenplatz« nannten viele Berliner ihn deshalb spöttisch, und Chiara konnte nicht u m hin, sich beobachtet zu fühlen, als sie aus d e m W agen stieg und die Tür hinter sich schloss. Es war bereits

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