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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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dunkel, ein paar Passanten waren noch unter w egs, aber es gab keine P ulks von Neugierigen, die darauf warteten, ihre I d o l e in flagranti zu ertappe n . Das beruhigte sie ein wenig, und schon kam sie sich albern vor, weil sie befürchtet hatte, sich hier nur m it hochgeschlagenem Kr a gen und herabgezogenem Hut zeigen zu können. Vielleicht überschätzten sie alle sich einfach, w o möglich i n teres s ierten sich d i e L eute weit weniger für das Privatleben der Stars, als behauptet wurde.
    Neben der Haustür gab es m ehrere Klingeln, v e r m utlich die Hälfte davon – wenn m an den Gerüchten Glauben schenkte – m it erfundenen Na m e n. »G« stand an der oberen, nur ein Buchstabe. Für denjenigen, der Bescheid wusste, reichte das. Z u m al es sich in diesem Fall nicht um ein an g e m i etetes Pro v iso r ium handelte, in dem sich Männer hei m lich m it ihren M ä tressen trafen. Torben Grapow wohnte tatsächlich hier.
    W as je nach Betracht u ngsweise f ür seine Eh r lichk e it oder gegen seinen Gesch m ack spricht, dachte sie.
    Die Tür war offen, desha l b trat sie ein. Drinnen flammten die La m pen auf, ein d üsteres Gelb, das die Bezeichnu n g Licht nic h t recht verdiente. Das Treppenhaus war spektakulär, rund wie das Innere eines Tur m es, m it m ächtigen Steinstufen und einem Mar m orgeländer.
    Sie blickte nach oben und erwartete, dass er über das Geländer herabschaute. Doch das Rund des Deckenausschnitts blieb m ak e llos. W ar da nicht gerade eine Tür geöffnet worden? Das Klacken ihrer S chuhe auf den Stufen hatte das G eräusch übertönt, aber als sie kurz verharrte, w ar alles s t ill.
    Ihre Kondition ließ zu wünschen übrig. Z u wenig Bewegung, zu viel W ein an den Abenden, zu viele Partys, E m pfänge und Pre m ieren. Sie fand die Vorstellung, schwitzend und außer Atem in der fünf t en Etage anzukom m e n, alles andere als e r freulich. Vielleicht sollte sie doch noch anfangen, Sport zu treiben, vielleicht würde m an sie dann auch nicht mehr aus hüfthohen Wasserbec k en ziehen m üssen wie eine Ertrinke n de.
    Der Vorfall im Atelier w ar einer der Gründe, weshalb sie die Einladung angenom m en hatte. Nach Ende der Dreharbeiten – ohne weitere Zwischenfälle, trotz des G e m unkels über den Fluch – hatte Torben sie sehr fö r m lich zu sich nach Hau s e eingeladen. Er koche gut, hatte e r i h r versiche rt , m editer ra ne Küche sei sei n e Spezialität, und, wer weiß, vielleicht könne er sie ja m it zwei, drei Dingen überrasch e n. Sie hatte zugesagt, aus L a ng e w e il e, e i n w e n i g auch aus Neugier. Seit sie die Kontakte zu Masken a u f Eis gele g t hatte, f ehlte es i h r a n m ännlicher Gesellschaft. Nichts Sexuelles, darum ging es nicht, a b er d i e Gespräc h e m it Ursi, sogar m it Lea, drehten sich letztlich immer um das Gleiche: neue R ollen, neue Kleider, n e u e Gesichter in der Bra n che. Chiara hatte d as Gefühl, dass He r m ann, Ursis Freund, ihr aus dem W eg ging, und das war ihr ganz recht. Zugleich aber bedeutete es, dass Ursi sich bei ihr regel m äßig über ihre Proble m e m it ihm ausheulte, und auf die Dauer ging ihr das auf die Nerven. Es war an der Zeit, sich m it je m a ndem zu unterhalten, dessen Horizont über Mode, Frisuren und
    Verhütung s m ittel hina u sging.
    Sie war im dritten Stock a ngekom m en, als sie aber m als Geräusche im Treppenhaus hörte. Sie beugte sich über das Geländer und schaute nach oben.
    »Torben ? « Keine Antwort.
    Sie zuckte die Achseln und ging weiter. Alle Türen waren geschlossen.
    W i eder blieb sie stehen. Da waren Schritte gewesen, ganz bestim m t .
    »Torben ? «
    W i eder antwortete nie m and.
    Machte s i ch je m and über sie l u sti g ? Sie tra u te i h m zwar einiges zu, aber s i e hielt ihn ni cht für al b ern – und unverschä m t. Nein, Torben hätte geantwortet.
    Also war je m and anderes im Treppenhaus. Das Licht ging aus.
    Mit einem Mal war die U m gebung rabenschwarz. Nervös ta st ete sie sich zum Geländer vor, sc h aute nach oben – nichts! –, dann nach unten. Vage war das Boden m osaik in der Tiefe zu erkennen und ein fahler Streifen Helligkeit, der von e i ner Straßenlaterne durch das Milch g las d er Haustür g eworfen wurde.
    Hier oben aber, auf der Treppe, war es stockdunkel. Vom Geländer aus konnte Chiara n i cht ein m al die W and erkennen, geschweige denn einen L i chtschalter, der sich dort irgendwo befinden m ochte.
    W i eder die Geräusche. Jetzt näher?

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