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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Über dem Tor der Halle fand ich den Kopf meines Bruders auf eine Lanze aufgespießt, in der Halle eine Bande grölender Normannen. Ich bezog Posten vor dem Tor und erschlug jeden, der herauskam. Das war meine Nachtwache.«
    Cædmon nickte. »Und am nächsten Morgen thronten zwei Dutzend normannischer Köpfe über dem Tor, ich habe davon gehört.«
    Er dachte, es sei vermutlich ratsam, nicht darauf hinzuweisen, daß Herewards Bruder, der in der Geschichte immer als geschlachtetes Unschuldslamm dargestellt wurde, zuvor die Tochter eines normannischen Kaufmanns vergewaltigt hatte. Und vermutlich war es ebenso ratsam, nicht daran zu erinnern, daß Hereward überhaupt nur deshalb auf dem Kontinent gewesen war, weil er sich in seiner Jugend als ein so zügelloser Rabauke und Unruhestifter gebärdet hatte, daß sein Vater schließlich verzweifelte und ihn verbannte …
    Hereward schnalzte mit der Zunge. »Es waren nur vierzehn Köpfe.« »Immerhin.«
    Der Blick der ungleichen Augen durchbohrte ihn regelrecht. »Ich nehme an, der Bastardkönig schickt Euch, um uns auszuspionieren.«
    Cædmon erwiderte seinen Blick. Man gewöhnte sich schnell an diese gruseligen Feenaugen, stellte er fest. »Der König hat ganz andere Sorgen. Er bereitet einen Feldzug in die Normandie vor. Er hat nur mäßiges Interesse an Ely. Ihm lag vornehmlich daran, die Dänen nach Hause zu schicken.«
    Dunstan konnte nicht länger an sich halten. »Du willst sagen, wir sind nicht bedeutend genug, um ihm Sorgen zu machen, ja?« flüsterte er. »Ich bedaure, wenn dich das kränkt, aber ich fürchte, genau so ist es.« Dunstan machte einen langen Schritt auf ihn zu – eine Drohgebärde, die er schon als Junge perfekt beherrscht hatte. »Du bist ein gottverdammter normannischer Spion!«
    »Nein, Dunstan, ich bin kein gottverdammter normannischer Spion.« Er hoffte jedenfalls, daß er noch nicht endgültig verdammt war.
    »Du …«
    Hereward hielt ihn mit einer kleinen Geste zurück und sagte: »Dann seid Ihr doch sicher bereit, Eure Unschuld durch ein Gottesurteil zu beweisen?«
    Cædmon traute seinen Ohren kaum. Und er war ganz und gar nicht bereit dazu. Nicht nur, weil Dunstans Anschuldigung den Tatsachen gefährlich nahekam. Auch unschuldige Männer hatten bei einem Gottesurteil keine besonders guten Chancen. Wer auf diese Weise seine Unschuld unter Beweis stellen sollte, wurde etwa gefesselt in einen Fluß oder Teich geworfen. Stieg er wieder auf und trieb er an der Oberfläche, bedeutete dies, daß das Wasser ihn nicht haben wollte, und seine Schuld war erwiesen. Wer unterging, galt als unschuldig, war aber nicht selten ertrunken, ehe man ihn wieder herausfischen konnte. Noch grausiger war die Feuerprobe. Der Beschuldigte mußte ein glühendes Eisen in der Hand halten oder – je nach Wunsch des Klägers – seine Hand in einen Kessel mit kochendem Wasser stecken und einen Stein herausfischen. Waren die Brandwunden nach drei Tagen verheilt, galt seine Unschuld als erwiesen, wurden sie brandig, war er schuldig. Cædmon hatte so manches Gottesurteil mit höchst zweifelhaftem Ausgang erlebt und immer gedacht, daß Gott der Angelegenheit schon seine volle Aufmerksamkeit schenken müsse, damit es zu einem gerechten Urteil kam. Ausnahmsweise teilte der König in diesem Punkt seine Auffassung und hatte dieses Mittel der Rechtsfindung verboten. Freilich nur, soweit es die in England lebenden Normannen betraf …
    »Ich bin ein englischer Thane und habe es nicht nötig, mich einem Gottesurteil zu unterziehen«, versetzte er kühl.
    Hereward musterte ihn abschätzend. »Ihr pocht auf Euer Standesrecht? Nun, dann seid Ihr sicherlich gewillt, einen Unschuldseid zu leisten.« »Das bin ich nicht. Dies hier ist kein Gericht. Weder Ihr noch sonst irgendein Mann hier hat das Recht, mich eines Vergehens zu beschuldigen und mir einen Eid abzuverlangen.« Abgesehen davon wäre ein falscher Unschuldseid eine so unverzeihliche Sünde, daß selbst die miserablen Chancen eines Gottesurteils das weitaus geringere Übel zu sein schienen. »Ich bin ein freier Engländer und nach Ely gekommen, um meinen Bruder Guthric in einer Familienangelegenheit aufzusuchen. Wie kommt Ihr dazu, über mich zu richten? Woher nehmt Ihr das Recht?«
    Hereward wies auf die Männer im Raum, unter denen sich ein leises,bedrohliches Murmeln erhoben hatte. »Seht Euch um. Ich habe insgesamt etwa zweihundert Männer auf dieser Insel. Jeden Tag werden es mehr. Ich glaube, man nennt es das Recht des

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