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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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ignoriert er. Vollkommen.«
    Cædmon ließ ein paar Augenblicke verstreichen und ordnete seine Gedanken. Er wußte, vieles von dem, was Rufus gesagt hatte, war nicht von der Hand zu weisen. Trotzdem … »Das ist nicht wahr, Rufus. Er ignoriert jede deiner Schwestern, aber nicht dich. Er hat Pläne mit dir, sei versichert.«
    »Welche?« fragte Rufus skeptisch.
    »Das weiß ich nicht. Vielleicht nimmst du irgendwann einmal deinen Mut zusammen und fragst ihn. Da er dich bislang in kein Kloster gesteckt hat, nehme ich nicht an, daß du Erzbischof von Rouen oder Canterbury werden sollst. Vermutlich wird er dir soviel Land hinterlassen, daß du der mächtigste unter Richards Magnaten wirst, so daß du deinem Bruder, dem König, tatkräftig zur Seite stehen kannst. Wenn er sich nicht doch noch dazu entschließt, die englische Krone Robert zu überlassen, in dem Falle müßtest du dir die Rolle des mächtigen Prinzen im zweiten Glied mit Richard teilen. Wie auch immer, du kannst nicht dein ganzes Leben damit hadern, daß du nicht der erst- oder zweitgeborene Sohn deines Vaters bist.«
    »Doch. Ich glaube, das kann ich durchaus.«
    »Dann wirst du immer nur unglücklich sein und weder dir noch England oder der Normandie von Nutzen.«
    Rufus schnaubte. »Ja, Cædmon, du hast leicht reden. Dein älterer Bruder hat sich freundlicherweise auf die Seite der Verräter geschlagen und somit Platz für dich gemacht, so daß du nachrücken konntest. Jetzt bist du Thane of Helmsby, nicht er.«
    »Du hast recht, Rufus, so betrachtet habe ich Glück gehabt. Auch wenn es mir alles in allem lieber wäre, mein Bruder wäre kein Verräter, aber Helmsby gehört jetzt unumstritten mir. Trotzdem ist meine Situation nicht so anders als deine, und darum weiß ich genau, was du empfindest.«
    »Wie meinst du das?«
    Cædmon rang mit sich. Er spürte ein heftiges Widerstreben, ausgerechnet vor diesem Jungen seine Seele zu entblößen. Er sah ihn an. Die Wangen waren wieder so apfelrot wie eh und je, und die blauen Augen hingen beinah flehentlich an seinen Lippen. Er hatte gesagt, er wolle ihm helfen. Also gab er sich einen Ruck.
    »Denkst du wirklich, es ist so leicht, als Engländer an einem normannischen Hof in einem besiegten England zu leben? Glaubst du vielleicht, es macht mir nichts aus, daß Warenne und Lucien de Ponthieu und einige andere mich hinter meinem Rücken einen angelsächsischen Schweinehirten nennen? Daß jeder Normanne sich mir überlegen fühlt, vor mir an der Reihe ist, wenn Ländereien zu verteilen sind, und daß ein Normanne Sheriff von Norfolk ist, das Amt bekleidet, das vor der Eroberung mein Vater ausgeübt hat?«
    Rufus starrte ihn mit offenem Mund an und schüttelte langsam den Kopf. »Ja, das habe ich geglaubt. Wenn mich jemand gefragt hätte, hätte ich gesagt, es ist dir völlig gleich.«
    Cædmon nickte. »Weil ich will, daß die Welt das glaubt.«
    »Warum?« fragte der Junge verständnislos. »Wieso wehrst du dich nicht? Schlägst zurück?«
    »Weil es an meiner Situation nichts ändern würde. Es würde sie höchstens verschlimmern. Mir zusätzlich zu Warennes Verächtlichkeit und Luciens Feindseligkeit noch ihren Hohn eintragen und, was noch schlimmer wäre, es würde mir meine Freunde entfremden. Das ist die Lektion, die ich gelernt habe, als ich ganz allein in die Normandie kam – ich war genauso alt wie du jetzt. Besser für dich, du lernst sie auch bald, Rufus. Sonst gehst du vor die Hunde.«
    Rufus stützte das Kinn auf die Faust. Schließlich schüttelte er den Kopf und sagte leise: »Ich bin nicht sicher, ob ich das kann.«
    »Natürlich kannst du. Du brauchst es nur zu tun. Die Entscheidung liegt allein bei dir.«
    Rufus zeigte das schwache, skeptische Lächeln, das so typisch für ihn geworden war. »Danke, Cædmon. Kann ich gehen? Es wird Zeit für den verfluchten Bücherunterricht.«
    Cædmon winkte auffordernd. »Das will ich dir auf keinen Fall vorenthalten. Verschwinde schon.«
     
    Er hatte im Grunde wenig Hoffnung gehabt, daß Rufus sich seine Vorhaltungen zu Herzen nehmen würde, aber zu seiner Überraschung war der Prinz seit ihrer Aussprache wie ausgewechselt. Seine Bitterkeit schien ebenso verflogen wie sein rebellisches Verhalten, und er wirkte glücklicher und ausgeglichener als seit vielen Monaten. Cædmon war ebenso erleichtert wie Richard und die übrigen Knappen und Lehrer, aber er wagte nicht zu hoffen, daß diese wundersame Wandlung vonDauer sein würde. Er glaubte nicht, daß seine

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