Das zweite Königreich
König ist durchaus gewillt, das angelsächsische Rechtssystem mit den Provinzgerichten in Hundert- und Grafschaften beizubehalten, aber sowohl er als auch Lanfranc streben nach einer Trennung von weltlichem und Kirchenrecht. Verwaiste Klöster müssen neu belebt werden, die schlecht geführten brauchen neue Äbte, damit die kirchlichen Ländereien vernünftig bewirtschaftet werden und sie ihre Verpflichtungen gegenüber der Krone erfüllen können. Das heißt, hierbei geht es um Geld und Kontingente von Soldaten. Was für die Klöster gilt, gilt ebenso für die Diözesen. Ihr müßt bedenken, daß die Bischöfe und Klöster in England etwa ein Viertel des Landes halten. Der König und Lanfranc wollen dieses Land von fähigen, königstreuen Männern verwaltet wissen. Außerdem wollen sie ein Schulsystem aufbauen – dessen Notwendigkeit mir allerdings auch nicht so recht klar ist.« Seine Schüler lachten. »Bevor diese Reform nicht durchgeführt ist, kann das Lehenssystem, das der König eingeführt hat, nicht richtig funktionieren, und das bedeutet, daß der Krone Einkünfte entgehen und weniger kampffähige, voll ausgerüstete Ritter zur Verfügung stehen, als es der Fall sein sollte. Das kann der König sich nicht leisten. Darum ist es richtig, daß er dieses Reformwerk wenigstens auf den Weg bringt, ehe er sich um das Maine oder auch um Hereward den Wächter kümmert.«
»Und um deinen Bruder Dunstan«, fügte Rufus vielsagend hinzu.
Cædmon war verblüfft und bestürzt zugleich. Er hatte den König und dessen Berater, die seinen Bericht über Ely mit angehört hatten, gebeten, nicht nach außen dringen zu lassen, daß Dunstan Herewards rechte Hand war. Weil er sich seines Bruders schämte und weil er wußte, daß es gewisse Männer am Hof gab, wie Warenne oder Lucien de Ponthieu zum Beispiel, die versuchen würden, Kapital daraus zu schlagen.»Und um Dunstan, völlig richtig«, sagte er langsam. »Verrätst du mir, wie du davon erfahren hast?«
Nach einem kurzen Schweigen sagte Eadwig: »Ich hab es ihm erzählt, Cædmon.«
»Ah ja? Hatte ich dich nicht gebeten, es für dich zu behalten?«
Eadwig senkte den Blick. »Es tut mir leid.«
»Warum sollte es dir leid tun?« fragte Rufus. An Cædmon gewandt fuhr er fort: »Eadwig ist mein Freund. Er war bekümmert über den Verrat seines Bruders und hat sich mir anvertraut. Was ist dagegen einzuwenden, daß ich die Wahrheit weiß? Oder sonst irgendwer? Es sei denn, du versuchst, Dunstan zu decken, dann ist es natürlich etwas anderes. Ich hoffe doch nicht, daß du es dem König verschwiegen hast?«
Cædmon erhob sich langsam. »Steh auf, William Rufus. Komm her. Die anderen verschwinden.«
Beklommen kamen die Jungen auf die Füße und wandten sich ab. Nur Eadwig zögerte. »Cædmon …«
Sein älterer Bruder fuhr zu ihm herum. »Ich sagte, du sollst gehen, Eadwig«, herrschte er ihn an. »Tu es lieber. Wir sprechen uns später.« Eadwig hatte seinen Bruder noch nie so wütend gesehen. Er hatte nicht gewußt, daß Cædmon so sein konnte, es machte ihm angst. Aber er beherrschte seine Furcht und blieb, wo er war, um für Rufus einzustehen. »Du weißt doch genau, daß Rufus das nicht ernst gemeint hat«, sagte er leise.
Cædmon trat langsam auf ihn zu, und Eadwig mußte sich zusammenreißen, um nicht zurückzuweichen.
»Warte, Cædmon«, bat Rufus plötzlich, aller Hochmut war aus seiner Stimme verschwunden. »Vergiß nicht, auf wen du es abgesehen hast. Laß ihn zufrieden. Es ist schon gut, Eadwig. Verschwinde lieber.«
Cædmons Zorn verrauchte. Diese beiden Bengel standen zu einander wie Roland und Olivier im Chanson – es war entwaffnend. Er gab sich die größte Mühe, nicht zu zeigen, daß er gerührt war, verschränkte die Arme vor der Brust und nickte Eadwig zu. »Wärst du jetzt so gut?« brummte er. Eadwig wandte sich mit hängendem Kopf und einem letzten, vorwurfsvollen Blick in Cædmons Richtung ab.
Als sie endlich allein waren, sagte er: »Und was nun, Rufus?«
Der Prinz lachte verblüfft. »Das fragst du mich? Tja, wenn du Lucien de Ponthieu wärest, könnte ich dir genau sagen, wie es jetzt weiterginge. Aber bei dir? Ich weiß es nicht.«
Er hatte offenbar nicht lange gebraucht, um zu seiner Unverfrorenheit zurückzufinden. Mehr um ihm einen Dämpfer zu verpassen, denn weil es ihm ernst damit war, sagte Cædmon: »Ich fürchte, ich werde deinem Vater sagen müssen, daß ich dich nicht weiter unterrichten kann.« Rufus’ Reaktion
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