Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
überraschte und erschreckte ihn. Das sonst so rotwangige Gesicht wurde aschfahl. Er blinzelte, als habe er Sand in den Augen, dann schlug er plötzlich eine Hand vor den Mund und floh hinter die nahe Waffenkammer. Cædmon lauschte dem erstickten Würgen, das gar kein Ende nehmen wollte, setzte sich wieder unter den Baum und schämte sich. Er hatte nicht die Absicht gehabt, den Jungen in diesen Zustand zu versetzen. Natürlich hatte er gewußt, daß die Prinzen in ständiger Furcht vor ihrem Vater lebten. Das galt für Robert in der fernen Normandie ebenso wie für Richard und Rufus, und auch Henry würde es sicher nicht anders ergehen, wenn er größer wurde. In Gegenwart des Königs hielten seine Söhne die Köpfe gesenkt, sprachen nur, wenn es unvermeidlich war, und dann auch nur das Nötigste. Richard stotterte manchmal. Im Gegensatz zu manch anderem hatte Cædmon nie viel Komisches daran entdecken können. Er hatte Verständnis für ihre Angst. Es war schließlich leicht genug, den König zu fürchten, selbst wenn man nicht sein Sohn war. Aber er hatte nicht geahnt, wie schlimm es offenbar war.
    Als Rufus wieder zum Vorschein kam, war sein Gesicht grau, und zwei feuerrote Flecken brannten auf den Wangen. Seine Knie schienen weich zu sein; er taumelte ein wenig.
    »Cædmon …«
    »Nein, warte. Setz dich. Und beruhige dich. Ich denke, wir müssen eine andere Lösung finden.«
    Der Junge ließ sich neben ihm ins Gras fallen und lehnte den Kopf mit geschlossenen Augen an den rauhen Stamm. Er wirkte vollkommen erschöpft. »Und zwar?«
    »Du könntest damit anfangen, daß du dich bei mir entschuldigst.«
    »Ich entschuldige mich bei dir.«
    »Weißt du, ich kann mir nicht helfen, aber das überzeugt mich irgendwie nicht.«
    Rufus zeigte ein müdes Lächeln. Seine Augen waren immer noch geschlossen.
    »Glaubst du wirklich, ich wolle meinen Bruder Dunstan decken, Rufus?« fragte Cædmon schließlich.
    »Nein. Natürlich nicht.«
    »Warum sagst du es dann? Und warum tut dir nicht leid, was du gesagt hast? Was habe ich dir getan, daß du dir immer solche Mühe gibst, mich in Verlegenheit zu bringen oder mich sogar zu beleidigen?«
    Rufus öffnete die Augen und sah ihn kopfschüttelnd an. »Es hat nichts mit dir zu tun. Ich bin zu allen so. Ich … kann nichts dagegen tun.« »Doch, das mußt du. Was immer der Grund für deine üblen Launen ist, du mußt lernen, sie zu beherrschen. Denn auf diese Weise schaffst du dir wirklich keine Freunde, weißt du, und früher oder später wird dein Vater davon erfahren.«
    »Ja. Ich weiß.« Es klang erstickt.
    »Herrgott noch mal, Rufus, sag mir, was mit dir los ist. Wenn du so große Stücke auf Eadwig hältst, kannst du nicht versuchen, auch ein bißchen Vertrauen zu mir zu haben? Wie soll ich dir sonst helfen?« Rufus wandte den Kopf und sah ihn an. »Willst du das denn, Cædmon? Ich bin dir in Wahrheit doch völlig gleich. Du liebst doch nur Richard. Den zukünftigen König von England. Genau wie alle anderen.«
    So, dachte Cædmon, das ist es also. »Wie kommst du darauf?« fragte er neugierig.
    Rufus lachte unglücklich auf. »Du brauchst es nicht zu leugnen, ich weiß, daß es so ist. Man merkt es an hundert kleinen Dingen. Daran, wie du ihn ansiehst, wie du ihm zuhörst, wie du mit ihm sprichst. Wegen ihm bist du zurückgekommen. Weil du in ihm die Hoffnung für Englands Zukunft siehst. Du träumst von dem Tag, da der grausame Eroberer endlich Platz macht für den sanftmütigen Richard, dessen Herz wahrhaft für England schlägt.«
    Das traf den Nagel so genau auf den Kopf, daß Cædmon einen Moment sprachlos war. Ehe ihm eine überzeugende Erwiderung eingefallen war, fuhr Rufus fort:
    »Alle denken so. Lucien de Ponthieu, Etienne fitz Osbern, sogar Lanfranc und meine Onkel, Odo und Robert. Sie alle setzen auf Robert für die Zukunft der Normandie und auf Richard für die Zukunft Englands. Sie bewundern Robert für die Tatkraft und Weitsicht, mit der er in Vaters Abwesenheit in Rouen herrscht, sie lieben Richard für seinen Anstand, seine Aufrichtigkeit und seine noble Gesinnung, und sie alle behandeln mich, als sei ich überhaupt nicht vorhanden. Mein Vater ist im Grunde genauso. Nicht daß er Robert und Richard liebt – er liebt niemanden. Außer meiner Mutter vielleicht. Aber er beachtet sie. Kritisch,selten mit Wohlwollen, aber er beachtet sie. Er beachtet sogar Henry, weil er so niedlich ist, daß nicht einmal der eiserne William davon unberührt bleibt. Mich

Weitere Kostenlose Bücher