Das zweite Königreich
Worte allein eine so heilsame Wirkung haben konnten. Helfen konnte dem Jungen letztlich nur der König. Aber das würde wohl niemals geschehen.
William war unterdessen mit innenpolitischen Angelegenheiten beschäftigt. Gemeinsam mit Lanfranc und seinem Bruder Odo erörterte er geeignete Kandidaten für den Erzbischofsstuhl von York, denn Aldred, der unmittelbar nach der Eroberung und auch seither eine so wichtige Vermittlerrolle gespielt hatte, war im vergangenen Herbst gestorben. York war die größte und mächtigste Diözese nach Canterbury; die Entscheidung war dementsprechend wichtig.
Sie hörten wenig Nachrichten aus Flandern. Fitz Osbern und Etienne waren unbeschadet dort eingetroffen, und Herzogin Richildis hatte sie erwartungsgemäß warm empfangen, aber Robert le Frison, der Bruder des verstorbenen Herzogs, genoß große Sympathien unter der Bevölkerung. Alles sprach dafür, daß es auf eine militärische Konfrontation hinauslaufen würde.
Während der September ins Land ging und die magere Ernte eingebracht wurde, nutzten Cædmon und Aliesa Etiennes Abwesenheit beinah jeden Tag zu einem heimlichen Treffen, während Cædmon Beatrice Baynard, die immer noch in Winchester weilte, mehr pflichtschuldig als feurig den Hof machte. Je besser er seine zukünftige Braut kennenlernte, um so mutloser wurde er. Beatrice war ein hübsches Mädchen und besaß formvollendete Manieren, sie gab sich sogar Mühe, Interesse an ihm zu heucheln. Aber Cædmon spürte deutlich, wie groß ihre Abneigung gegen England, seine Traditionen und vor allem seine Bewohner war. Ihre Vorstellungen waren von Vorurteilen geprägt, und sie schien nicht gewillt, sich eines Besseren belehren zu lassen. Vielleicht konnte sie einfach nicht. Aus ihrer Unfähigkeit, selbst die einfachsten Rätsel zu lösen, hatte Cædmon geschlossen, daß seine Erwählte nicht die Allerhellste war… »… und Baynard sagte mir, daß Ihr seine Tochter für ein paar Tage mit nach Helmsby nehmen wollt?« hörte er den König sagen.
Cædmon kehrte mit seinen Gedanken schleunigst in die Gegenwart zurück. Sie befanden sich in einem Wald etwa zehn Meilen südlich von Winchester. Heute waren keine Damen mit von der Partie, denn sie machten Jagd auf Rot- und Damwild.
»Das ist richtig, Sire. Ich müßte ohnehin nach Hause, um zu sehen, wie es mit der Ernte steht, und da dachte ich mir, es wäre eine gute Gelegenheit, ihr Helmsby zu zeigen.«
»Hm«, machte der König. »Meinetwegen. Aber seid vor Mitte Oktober zurück und überbringt Eurer Mutter meine Einladung, Euch an den Hof zu begleiten.«
Cædmon fiel aus allen Wolken. »Meiner Mutter?«
William runzelte mißfällig die königliche Stirn. »Ihr werdet doch nicht schwerhörig, Thane?«
»Ähm … nein, Sire. Keineswegs.« Gott, wie reizbar er in letzter Zeit war. Jedes Wort mußte man auf die Goldwaage legen. Wenn der König so weitermachte, würde bald jeder Angehörige des Hofes in seiner Gegenwart so einsilbig und verschreckt sein wie seine Söhne.
»Die Königin ist guter Hoffnung«, vertraute William ihm unvermittelt an.
Cædmon lächelte. »Meinen Glückwunsch, Sire.«
William nickte knapp. »Als Henry zur Welt kam, gab es Komplikationen. Ich weiß, Eure Mutter ist eine Dame und keine Hebamme, aber … Ihr erwähntet irgendwann einmal, daß dank ihrer Hilfe in Helmsby weniger Frauen im Kindbett sterben als andernorts, also wäre ich beruhigt, wenn sie sich die Königin einmal ansähe.«
Cædmon dachte an Aliesa und kamzu dem Schluß, daß er ausnahmsweise einmaleiner Meinung mit dem Königwar: Es wäreeine wirklichgute Idee, seine Mutter über den Winter an den Hof zu holen. »Ich werde es ihr ausrichten, Sire. Ich bin überzeugt, sie wird sich sehr geehrt fühlen.« Sie würde in Wahrheit wohl eher Feuer spucken. Aber sie würde kommen. William hatte keine andere Antwort erwartet und wechselte das Thema. »Den halben Tag haben wir hier vertan und immer noch kein Stück Wild erlegt«, knurrte er.
»Es ist zu heiß«, mutmaßte Cædmon. »Bei diesem Wetter zieht sich das Wild zu tief in die Wälder zurück.«
»Mag sein. Wir haben diesen Sommer jedenfalls nicht genug erlegt, um die vielen Mäuler am Hof zu stopfen.«
Cædmon hob lächelnd die Schultern. »Es kann nicht daran gelegen haben, daß wir zu selten zur Jagd geritten wären, Sire. Wir hatten einfach kein Glück.«
»Ja, Ihr nehmt es auf die leichte Schulter. Aber ich muß ständig neues Vieh kaufen, um meinen Hof zu ernähren. Das gilt
Weitere Kostenlose Bücher