Das zweite Königreich
zurück auf Cædmon und Richard. Zwei der Diener gingen in den Wald, um die ausgerissenen Pferde einzufangen, die übrigen blieben bei den Damen.
Richards für gewöhnlich schon blasses Gesicht wirkte grau. Er bewegte die blutleeren Lippen und schlug die Augen auf. »Cædmon …«
»Lieg still, Richard. Etienne holt Hilfe, wir bringen dich im Handumdrehen nach Hause.«
Die glatte Stirn zeigte plötzlich tiefe Furchen. »Sie ist zurückgekommen und hat ihren Fluch selbst erfüllt. Das alte Weib steckte in dieser Bestie, ich hab’s in den Augen gesehen.«
Cædmon nahm seine Hand. Sie war eiskalt und klamm. »Das ist dummes Zeug. Sie war nichts als eine verzweifelte alte Frau, und ihr Fluch kann dir nichts anhaben.«
Richards Atem wurde flacher, und er begann zu keuchen. Ein Blutfleck breitete sich links des Bauchnabels auf seinem tiefgrünen Gewand aus. Cædmon schob den zerrissenen Stoff auseinander, um den Schaden in Augenschein zu nehmen. Der Hauer hatte eine häßliche Wunde gerissen, die stark blutete, aber sie war nicht groß.
»Es sieht nicht schlimm aus, Richard. Alles wird gut.«
Der Prinz schien ihn nicht zu hören. »Hätte er sie doch geschont. Hätte er nur ein einziges Mal irgendwo irgendwen geschont … aber wozu?« Er lachte atemlos. »Er kann ja gut auf mich verzichten. Er hat … Söhne genug.« Schweiß glänzte auf seiner Stirn.
Cædmon fuhr behutsam mit dem Ärmel darüber. »Hast du Schmerzen?«
Richards Blick glitt hilflos suchend über die nackten Baumkronen, ehe er Cædmons Gesicht fand. Er nickte. »Es fühlt sich an, als sei alles zerrissen.« Seine Worte wurden undeutlich. »Cædmon …«
»Du darfst nicht soviel reden.«
»Es ist aber wichtig. Rufus hat … du mußt …« Er erschauderte, dann schoß ein beängstigender Blutschwall aus seinem Mund auf Cædmons Gewand, und sein Kopf fiel zur Seite. Cædmon lauschte seinem mühsamen Atem und betete. Hufschlag näherte sich, und der König preschte auf die kleine Lichtung und sprang aus dem Sattel.
Richard starb, ehe sein Vater ihn erreichte.
Der König hockte auf einem Knie im Morast, beinah so reglos wie sein toter Sohn. Dann hob er langsam die Linke und drückte behutsam die dunklen, starren Augen zu. Cædmon fühlte sich matt und dumpf vor Schmerz und dachte bitter: Hättest du ihm nur ein einziges Mal eine so liebevolle Geste geschenkt, solange er lebte.
William wandte den Kopf ab und stand auf. »Wischt ihm das Blut vom Gesicht, ehe seine Mutter ihn sieht«, sagte er heiser und ging zu seinem Pferd zurück.
Cædmon antwortete nicht, tat aber, was er gesagt hatte.
Bald wimmelte es auf der kleinen Lichtung von Menschen. Etienne stand eine Weile neben Cædmon, der immer noch mit Richards Kopf im Schoß am Boden kniete, sah tief bekümmert auf den toten Prinzen hinab, legte seinem Freund dann kurz die Hand auf die Schulter und wandte sich ab, um leise ein paar Anweisungen zu geben. Er hieß die Männer, den Kopf des Keilers vom Rumpf zu trennen und auf eineLanze zu stecken, so daß er über dem Tor der Halle aufgepflanzt werden konnte, den restlichen Kadaver fortzuschaffen und zu verbrennen.
Als William die Königin zu der Buche am Rand der Lichtung führte, verstummte auch das leise Tuscheln, und die Leute bildeten eine Gasse, um sie hindurchzulassen.
Matilda stützte sich schwer auf Williams Arm. Als Cædmon aus dem Augenwinkel ihre winzigen Lederschuhe sah, hob er den Kopf und sah zu ihr auf. Die Lippen der Königin bebten. Bislang war ihr erspart geblieben, was die meisten Mütter schon viel früher durchlitten; Richard war das erste ihrer neun Kinder, das starb. Aber sie bewahrte Haltung. Fassungslos, bewundernd und befremdet zugleich beobachtete Cædmon, was sich auf ihrem Gesicht abspielte, wie sie den Schmerz zurückdrängte, den Schrei des Protests hinunterwürgte, all das auf später verschob, wenn sie allein war. Sie wandte den Kopf ein wenig, und ihre Blicke trafen sich.
»Bringt den Prinzen nach Hause, Cædmon«, bat sie.
»Natürlich, Madame.«
Rufus, Leif und Eadwig hatten sich am weitesten von der Jagdgesellschaft entfernt und kamen erst, als William und Matilda schon fort waren. Und das war vermutlich auch gut so, denn anders als seine Eltern hielt Rufus eiserne Disziplin in allen Lebenslagen für keine sehr erstrebenswerte Tugend. Er fiel neben seinem Bruder auf die kalte Erde, packte ihn und zog seinen leblosen Körper an sich, schloß ihn in die Arme und wiegte ihn. Er hatte die Augen
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