Das zweite Königreich
endlich der Frühling in Südengland Einzug, und am Tag nach den Feierlichkeiten brach eine große Gesellschaft zur Falkenjagd auf. Viele Adlige hatten bereits die Heimreise angetreten, aber es waren immer noch an die dreißig Ritter und Damen und etwa ebensoviele Falkner und Diener, die an diesem kühlen, aber sonnigen Tag in den Wald südlich von Winchester ritten, den der König so liebte.
»Guten Morgen, Beatrice.«
»Bonjour, Cædmon.«
»Ein herrlicher Tag für die Jagd, nicht wahr?«
Sie hob den Kopf und sah ihn an, und er bewunderte beiläufig, wie mühelos sie ihre mißgelaunte Stute beherrschte. »Ja, das wäre es, wenn ich hoffen könnte, daß Ihr heute ausnahmsweise einmal Eure Bauernschleuder im Gürtel laßt und jagt wie ein Edelmann.«
»Würde ich Euch denn einen so großen Gefallen damit tun?«
Beatrice nickte wortlos.
Er hob ergeben die Schultern. »Also schön. Es ist in gewisser Weise bedauerlich, denn irgendwer wird mir mit Sicherheit eine Wette anbieten, und gerade in diesem Gelände hätte ich gute Chancen, sie zu gewinnen.«
Sie hob das Kinn und sah zu ihm hinüber – sie verstand es wirklich hervorragend, Mißbilligung und Verächtlichkeit zum Ausdruck zu bringen, das mußte man ihr lassen. »Meine Mitgift sollte Euch für die entgangene Wette doch wohl hinreichend entschädigen.«
Cædmon räusperte sich. »Nun, Madame, Ihr mögt meine Jagdmethoden bäurisch finden, ich will mich lieber nicht dazu äußern, wie höfisch oder taktvoll Eure Bemerkungen sind.«
Sie errötete ein wenig und schlug die Augen nieder.
»Beatrice«, begann er. »Ich bedaure, wenn meine Schritte Euch gekränkt haben. Ich habe es nur getan, weil ich verhindern wollte, was weder Euren noch meinen Wünschen entsprach. Aber da die Dinge nun einmal sind, wie sie sind, bin ich bereit, das Beste daraus zu machen.« Er sprach leise und eindringlich, versuchte wie so viele Male zuvor, zu ihr durchzudringen, aber ihre Miene war undurchschaubar. Darum setzte er nach: »Das gleiche erwarte ich von Euch.«
Plötzlich schimmerten Tränen in ihren Augen. Sie wandte hastig den Kopf ab und murmelte: »Ihr werdet gewiß keinen Grund haben, Euch über mich zu beklagen, Monseigneur.«
»Nein, Madame. Da bin ich sicher.« Er betrachtete verstohlen ihr schönes Profil und fragte sich beklommen, wie es gehen sollte, wenn er sich in nur fünf Tagen allein mit ihr in einem prächtig geschmückten Brautgemach wiederfand. Natürlich konnte er an der Mär vom Keuschheitsgelübde festhalten. Aber sobald der König sie vom Hof entließ,würde er Beatrice nach Helmsby bringen müssen, und irgendwann würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als diese Eisprinzessin … aufzutauen. Schon bei dem Gedanken fühlte er sich überfordert.
Rufus und Eadwig ritten heran und drängten sich neben Cædmon und seine Braut. »Wie steht es mit einer kleinen Wette, Cædmon?« schlug Rufus vor. »Mein Vogel gegen deine Schleuder?«
Cædmon schüttelte bedauernd den Kopf. »Heute nicht, mein Prinz.« Rufus sah ihn verwirrt an. »Warum nicht, in aller Welt?«
»Sagen wir einfach, der Sinn steht mir heute nicht danach.«
Rufus sah kurz von Cædmon zu Beatrice und wieder zurück und brummte: »Verstehe. Nun, vielleicht beim nächstenmal.«
Das Gelände stieg langsam an, und die Bäume lichteten sich ein wenig. Der Boden war immer noch sehr naß, das Gras auf dem Pfad von den vielen Hufen bald zertrampelt und in schwarzen Morast verwandelt. Doch die ersten Vögel sangen in den kahlen Bäumen, die Luft roch würzig nach altem Laub und nassem Holz, und am Wegrand zeigten sich die ersten Narzissen und Sternhyazinthen. Cædmon hatte für gewöhnlich keinen ausgeprägten Sinn für die Schönheiten der Natur, aber der Kontrast zwischen ihrem satten Gelb und dem tiefen Blauviolett im strahlend weißen Licht der Frühlingssonne bannte sogar ihn.
Die Jagdgesellschaft verteilte sich. In Gruppen zu dritt oder zu fünft bezogen sie mit ihren Falknern entlang des Hügelkamms Stellung, immer weit genug voneinander entfernt, daß sie sich nicht gegenseitig die Beute streitig machten, aber doch noch so nah, daß man die farbenprächtigen Kleider der Damen durch die unbelaubten Bäume hindurchschimmern sah.
Cædmon und Beatrice schlossen sich mit Etienne, Aliesa und Richard zusammen. Sie machten gute Beute; der Wald wimmelte nur so von Kleinwild und Vögeln, vor allem Fasane waren zahlreich. Cædmon winkte seinem Falkner, nahm seinen Vogel auf die behandschuhte linke
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