Das zweite Königreich
wieder entwischst, so wie damals in Penistone.«
Cædmon grinste geisterhaft. »Da lagen die Dinge ein wenig anders. In Penistone hat Lucien de Ponthieu mich auf mein Pferd gesetzt und meiner Wege ziehen lassen.«
»Was? Wieso?«
»Wegen Aliesa. Er hat es die ganze Zeit gewußt. Von Anfang an. Und weil er seine Schwester so innig liebt, war er bereit, seinen Groll gegen mich ruhen zu lassen, bis … Na ja, bis passiert, was eben jetzt passiert ist. Bis ich sie ins Unglück stürze.« Er unterbrach sich kurz und drückte Daumen und Zeigefinger der Linken gegen die geschlossenen Lider. »Also ein Kloster in der Normandie für Aliesa, ein finsteres Loch wie dieses in Dover für mich, richtig?«
»So sieht es im Moment aus, ja.«
»Und … Etienne?«
»Er geht zurück nach Cheshire, schließlich ist er Sheriff dort und muß sich um allerhand kümmern. Er spricht nicht mehr mit mir, aber er hat mir ausrichten lassen, daß er dich ebensowenig wiederzusehen wünscht wie seine Frau.«
Cædmon nickte mit geschlossenen Augen. »Weiter, Eadwig. Laß dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.«
»Ich hatte … ich war besorgt, wie du das aufnehmen würdest«, gestand sein Bruder beklommen.
Cædmon schlug die Augen auf. »Du hast befürchtet, es würde mich härter treffen als alles andere? Nun, in gewisser Weise hast du recht. Aber ich habe damit gerechnet, weißt du. Ich habe immer gewußt, daßdie Hölle losbricht, wenn es herauskommt. Wir beide haben es gewußt und in Kauf genommen.«
»Du mußt sie sehr lieben.«
Cædmon ging nicht darauf ein. »Ich nehme an, auch Roland Baynard wird mich hier unten nicht aus alter Freundschaft besuchen?«
»So ist es. Die schöne Beatrice ist zu Tode beleidigt, und er meint, du habest sie entehrt. Ich verstehe allerdings nicht so recht, worüber er sich so aufregt, denn sie heiratet in zwei Wochen Lucien de Ponthieu, und er verlangt nur die Hälfte dessen, was du wolltest, wird erzählt. Also sollten die Baynards dankbar sein.«
»Nun, zumindest Beatrice wird dankbar sein. Es war nicht zu übersehen, daß sie Lucien anhimmelt. Und was ist mit Rufus? Ich könnte mir vorstellen, daß ihm die Geschichte schwer im Magen liegt.«
Eadwig senkte den Kopf. »Kannst du ihm je verzeihen, Cædmon?« »Früher oder später bestimmt.«
»Sein Vater hat sich erstaunliche Mühe gegeben, Rufus von seinem Konflikt zu befreien, und hat ihm mehrfach gesagt, er habe wie ein treuer, ergebener Sohn gehandelt. Aber es reißt ihn trotzdem in Stücke.«
»Armer Rufus«, sagte Cædmon bitter. »Das ist typisch für ihn. Er lenkt den Karren in den Sumpf und ist todunglücklich, wenn er untergeht. Klär mich auf, Eadwig. Ich bin sicher, du kennst die Wahrheit. Wann und wie hat er es herausgefunden?«
»Kurz nachdem ich an den Hof gekommen bin. Bei einer Jagd. Er ist dir nachgeritten, als du dich von der Gesellschaft entfernt hast, weil er einmal mit dir allein sein wollte, und dann hat er euch gesehen.«
Cædmon erinnerte sich gut an diese Jagd kurz nach seiner Rückkehr aus Flandern. Und er erinnerte sich auch, daß seine Schwierigkeiten mit Rufus etwa zu dieser Zeit begonnen hatten. »Und was hatte es mit diesem ›Versprechen‹ an Richard auf sich? Ich kenne Rufus, ihn bindet kein Versprechen. Richard muß irgend etwas gegen ihn in der Hand gehabt haben, um sein Stillschweigen zu erpressen. Was war es?«
Eadwig hob den Kopf und sah ihm in die Augen. »Weißt du das wirklich nicht?«
Cædmon hatte so eine Ahnung. »Du teilst mit ihm das Lager?«
»Ja.«
»Schon lange?«
»Vom ersten Tag an.«
Cædmon nickte. Er war nicht schockiert. Natürlich hatte die Kirche es verboten. Vor allem normannische Priester wetterten eifrig gegen Männerliebe, und der König verurteilte sie als die widerwärtigste Art der Unzucht. Auch Angelsachsen rissen gern Zoten darüber, aber kaum jemand nahm diese Dinge besonders tragisch. Jedermann wußte schließlich, was sich des Nachts in den Klöstern abspielte. Und niemand glaubte ernsthaft, daß die rauhbeinigen, kampffreudigen und goldgierigen Krieger, die dereinst die Hallen angelsächsischer Thanes und Earls bevölkert und ihre endlosen Kriege ausgefochten hatten, sich immer allein in ihre Decken eingerollt hatten, wenn es in den Hallen dunkel wurde, doch die alten Lieder erzählten auffallend wenig von Frauen …
»Es … na ja, es hat angefangen, als ich damals zu dem dänischen Prinzen kam«, erklärte Eadwig.
Cædmon schüttelte den Kopf. »Das tut
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