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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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nicht sicher, worauf Ihr …«
    Sie schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab, welche ihn auf geradezu unheimliche Weise an ihre Mutter erinnerte, die eine so zentrale Figur seiner frühen Kindheit gewesen war.
    »Ich werde ganz offen zu Euch sein, Monseigneur.«
    Er lehnte sich an seinen byzantinischen Tisch und verschränkte die Arme. »Ja, Madame, darauf wette ich.«
    »Mein Bruder Cædmon ist Euer Gefangener.«
    »So ist es.«
    »Und er ist krank.«
    »Ich fürchte, auch das ist wahr.«
    »Schämt Ihr Euch nicht, ihn trotzdem in irgendeinem lichtlosen Loch vor sich hinsiechen zu lassen?«
    Odo deutete ein Kopfschütteln an. »Nein. Mein Bruder, der König, hatvor seiner Abreise sehr klare Anweisungen geäußert. Und vermutlich wißt Ihr so gut wie jeder in England, daß man gut beraten ist, zu tun, was der König wünscht.«
    »O ja. Ich kenne den König genau, glaubt mir.«
    »Und ich sehe, Ihr hegt wenig Sympathie für ihn.« Odo füllte zwei Becher aus einem Zinnkrug auf dem Tisch und reichte ihr einen davon. Hyld trat zwei Schritte näher, nahm ihn zögernd und trank. Es war englisches Bier. Damit hatte sie nicht gerechnet.
    Odo lachte leise. »Ihr mögt uns arrogant finden, und vermutlich habt Ihr recht, Hyld of Helmsby. Aber wir sind vor allem anpassungsfähig. Nur darum haben wir ein Reich erobern können, das – zugegebenermaßen mit ein paar Unterbrechungen – vom Südzipfel Siziliens bis zur schottischen Grenze reicht. Wenn wir ein Land erobern, betrachten wir, was wir vorfinden, und nehmen das an, was uns gut erscheint. Vor hundertfünfzig Jahren, als wir nach Frankreich kamen, war es der christliche Glaube. In England sind es der Wollhandel, das Recht, das Münzsystem und das Bier.«
    Sie sah in seine lachenden, schwarzen Augen und war einen Moment von ihrem schnurgeraden Pfad abgelenkt. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß er so sympathisch, vor allem so charmant sein könnte. Hastig trank sie einen tiefen Zug, um ihre Verwirrung zu verbergen, ehe sie sagte: »Ich bin gekommen, um Euch ein Geschäft vorzuschlagen.« »Ich bin gespannt.«
    »Ihr wollt Euren Teppich. Ich will meinen Bruder. Ich gebe Euch, was Ihr wollt, Ihr gebt mir, was ich will.«
    »Ich fürchte, das ist ausgeschlossen, Madame, so gern ich zustimmen würde. Aber der König würde mir den Kopf abreißen.«
    Hyld verzog sarkastisch den Mund.
    »Wollt Ihr Euch nicht setzen, Madame?«
    »Ja«, stimmte sie zu ihrer eigenen Überraschung zu. »Vielen Dank.« Odo nahm in seinem Sessel am Kopfende des langen Tisches Platz, Hyld auf dem ersten Stuhl an der Längsseite. Sie verschränkte die Hände auf der blankpolierten Platte und sah ihn an. »Was genau hat der König angeordnet, was meinen Bruder betrifft?«
    »Daß ich ihn sicher verwahre und auf keinen Fall entkommen lasse.« »Hm. Und was genau ist dieser Teppich, den Ihr wollt?«
    »Die Geschichte der Eroberung. Von Harold Godwinsons Besuch in der Normandie bis zu Williams Krönung in Westminster.«
    »Die wahre Geschichte?«
    »Die wahre Geschichte, soweit sie meinem Bruder zur Ehre gereicht. Meine Kathedrale habe ich gebaut, um Gott zu preisen. Den Teppich will ich, um den König zu ehren. Er hat es verdient; er ist ein großer Mann.«
    »Und Ihr liebt ihn sehr, ja?« fragte sie.
    Odo hob überrascht den Kopf und dachte einen Moment nach. »Nun, das zu tun ist nicht leicht, Madame. Aber zumindest kann ich sagen, daß ich ihn sehr verehre. Und er wird so oft verfemt, nur aufgrund der Tatsache, daß seine Mutter nicht die Frau seines Vaters war. Das ist ein Makel, den Robert und ich nie zu tragen hatten. Und das will ich gutmachen.«
    Hyld nickte langsam. »Na schön. Ihr liebt ihn also doch. Ich hingegen liebe ihn überhaupt nicht, Monseigneur. Er hat mich einen Sohn und auf die ein oder andere Weise alle meine Brüder gekostet, versteht ihr?« »Ja. Ich denke schon.«
    »Trotzdem bin ich bereit, Eurem Wunsch zu entsprechen. Gebt mir zwanzig Stickerinnen, und ich werde Euch den Teppich entwerfen und sticken, den Ihr wollt. Ich verspreche Euch, er wird Euch nicht enttäuschen. Wer weiß, vielleicht wird er gar die Welt noch in Staunen versetzen, wenn Ihr und ich längst vergessen sind. Aber die Sache hat ihren Preis.«
    Odo hatte die Ellbogen auf den Tisch aufgestützt und saß leicht vorgebeugt. Ohne sie aus den Augen zu lassen, schob er die vergoldete Schale in ihre Richtung. »Nehmt eine Erdbeere, Hyld.«
     
    Seit über zwei Monaten befand Cædmon sich in Einzel- und Dunkelhaft,

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