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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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aufgeschlossener Mann, Vater Maurice. Ich weiß nicht, wie ich die vergangenen Monate ohne seine Hilfe überstanden hätte.«
    »Was hat der Arzt gesagt?« fragte Cædmon.
    »Daß etwas in meinem Kopf wächst, das nicht dorthin gehört. Er nannte es einen Tumor. Er sagt, vermutlich habe ich ihn schon mein ganzes Leben lang. Durch die Kopfverletzung bei Gerberoi ist dieser Tumor aus dem Schlaf geweckt worden, und jetzt … wächst er.«
    »Großer Gott … Und kann man nichts tun, damit er wieder einschläft?«
    »Nichts.« Etienne hob den Kopf und sah ihn wieder an. »Er wird wachsen und wachsen, und je weiter er wächst, um so häufiger und schlimmer werden die Anfälle. Es ist jetzt schon schlimmer als vor einem Monat. Und ich will so nicht sterben, Cædmon.«
    Cædmon starrte ihn unverwandt an und betete in tiefster Inbrunst, daß er sich irren möge, daß er mißverstand, was sein Freund ihm zu sagen versuchte.
    Etienne erkannte das nackte Entsetzen in seinen Augen und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. »Ich habe ein Testament gemacht, es ist in Vater Maurice’ Obhut. Darin steht, daß ich dir und Aliesa vergebe und daß es mein Wunsch ist, daß du sie heiratest. Vater Maurice ist eingeweiht. Er wird dich von jedem Vorwurf freisprechen, er weiß, daß es mein freier Entschluß ist.«
    »Etienne … bitte … bitte nicht.«
    »Cædmon«, fuhr Etienne fort, seine Stimme leise, samtweich und überzeugend; die Stimme der Vernunft. »Es gibt niemanden sonst, den ich bitten könnte. Wenn du ablehnst, dann … dann werde ich elend verrecken. Ich habe den Arzt gebeten, mir die Wahrheit zu sagen, aber ich muß gestehen, daß ich das im nachhinein bereue. Die Schmerzen sind jetzt schon unerträglich. Aber sie werden schlimmer, sagt er. Sie werden längerandauern. Bis sie irgendwann nicht mehr weggehen. Und er sagt, bevor ich schließlich sterben werde, weil dieses Ding in meinem Kopf mein Hirn so unbarmherzig zusammendrückt, daß irgend etwas zerplatzt, bevor das passiert, werde ich den Verstand verlieren. Cædmon, ich bitte dich um der Liebe Christi willen, laß mich so nicht sterben.«
    »Ich …« Cædmon atmete tief durch und versuchte, seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen, »ich muß darüber nachdenken. Gib mir einen Tag.«
    »Nein.« Etiennes Stimme klang plötzlich scharf, Panik schwang darin. Er ließ Cædmon nicht aus den Augen und schüttelte entschieden den Kopf. »Du würdest hundert Gründe finden, es nicht zu tun, und dich nie wieder herwagen.«
    »Du irrst dich.«
    »Cædmon, ich habe gebeichtet und bin von meinen Sünden losgesprochen. Heute ist der Tag. Ich weiß nicht, ob ich noch einmal den Mut finde. Wenn du es nicht tust, muß ich selbst einen Weg finden. Und du weißt, was dann aus mir wird.«
    Cædmon blinzelte verstört, fassungslos angesichts dieser grauenhaften Wahl, vor die er sich plötzlich gestellt fand.
    »Es tut mir leid, daß ich dich erpresse«, gestand Etienne und stützte die Stirn auf die Faust. »Aber wenn du kneifst, dann … Gott, ich weiß nicht, was dann wird.« Er sah wieder auf. »Hilf mir, Cædmon. Bitte.« »Ich helfe dir«, hörte Cædmon sich sagen. »Hab keine Angst mehr.« Etienne schloß die Augen und stieß in grenzenloser Erleichterung die Luft aus. »Dann … dann werde ich jetzt den Wein trinken, den du mir mitgebracht hast.«
    »Hier.« Cædmon reichte ihm den Schlauch mit seltsam schleppenden Bewegungen. Ein grausiges Gefühl der Unwirklichkeit wollte ihn beschleichen, und er kämpfte es verbissen nieder.
    »Es wird vielleicht eine Stunde dauern, bis die Kopfschmerzen einsetzen. Sie kommen immer, wenn ich Wein trinke, aber heute brauche ich sie ja nicht zu fürchten«, sagte Etienne mit einem schwachen Lächeln. »Bis dahin wollen wir über alte Zeiten reden, ja?«
    »Ja.«
    »Und wenn ich sage: ›Ich glaube, ich möchte jetzt schlafen‹, dann tust du’s, ja? Zeig mir deinen Dolch, Cædmon.«
    Cædmon zog sein langes Jagdmesser aus der Scheide am Gürtel und reichte es ihm mit dem Heft zuerst. Etienne prüfte behutsam dieSchneide mit dem Daumen, nickte zufrieden und gab es ihm wieder zurück.
    »Gut. Und du wirst es auch wirklich tun, nicht wahr? Und schnell?« »Du weißt doch, daß meine Hände schneller sind als jeder Falke, den du je besessen hast.«
    Etienne lachte, leise und unbeschwert, setzte den Schlauch an die Lippen und trank mit dem gewaltigen Zug, der ihm zu eigen war.
    Sie sprachen über alte Zeiten. Über Jehan de Bellême, seinen

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