Das zweite Königreich
selbst gewonnen.«
»Ja. In einem Loch wie diesem, genau wie du.«
»Hm. Nun, ich gestehe, daß ich deiner Selbstzerfleischung nur höchst ungern etwas entgegensetze, aber ich habe dir verziehen, Cædmon. Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht.«
Cædmon sah ihn unsicher an und fragte sich, ob Etienne vielleicht ein grausames Spiel mit ihm trieb, ob das hier seine Rache war.
Etienne belächelte seine Zweifel, dann nickte er nachdrücklich. »Es ist die Wahrheit.«
»Aber … warum solltest du das tun?«
»Oh, ich weiß nicht. Ich war in dieser ganzen Geschichte auch kein Unschuldslamm. Wie gesagt, ich habe schon damals hier in Rouen gespürt, daß sie es dir angetan hatte. Deswegen habe ich so lange gezögert, dir zu sagen, daß sie meine Verlobte ist. Ich wollte dir so lange wie möglich Zeit lassen, dich in deinen Wunschträumen zu ergehen. Immer in der sicheren Gewißheit, daß mir gehörte, was du begehrtest. Du warst mein bester Freund, Cædmon, hättest alles für mich getan, und trotzdem hat es mir ein eigentümliches Vergnügen bereitet zu wissen, daß ich den Preis gewinnen würde, wenn du den Vergleich verzeihen willst. Daß ich dir in dieser Hinsicht überlegen war. Das war Hochmut, verstehst du. Und keine andere Sünde kommt einen so teuer zu stehen.«
Cædmon lauschte ihm ungläubig und schalt sich einen unverbesserlichen Narren, weil Etiennes freimütiges Eingeständnis ihn selbst nach all den Jahren noch kränken konnte.
»Und was Aliesa betrifft, hast du recht«, fuhr Etienne fort. Er hob kurz die Schultern. »Ich habe sie geliebt, kein Zweifel. Ich meine, man konnte ja kaum anders, sie ist eine wundervolle Frau. Aber nicht so wie du. Ich hätte nicht wie du Kopf und Kragen und Seelenheil riskiert, umsie zu haben. Mir wäre auch im Traum nicht eingefallen, wegen ihr damit aufzuhören, jede Frau zu verführen, die ich kriegen konnte.« Er sah Cædmon in die Augen. »Und es waren nicht nur unverheiratete, weißt du. Mit anderen Worten, ich habe verdient, was ich bekommen habe, vielleicht noch mehr als du. Und ich habe dich im Grunde nur aus verletzter Eitelkeit gehaßt, und das ist erbärmlich.« Er brach ab und atmete tief durch.
»Etienne …«
»Fang bloß nicht an zu heulen, Mann.«
Cædmon räusperte sich entschieden. »Nein. Laß uns diesen Wein trinken, was meinst du?«
Etienne hob abwehrend die Linke. »Trink für mich mit. Ich vertrage ihn nicht mehr.«
»Wieso nicht?«
»Dazu kommen wir gleich. Nimm einen ordentlichen Schluck, Cædmon, du wirst ihn brauchen. Ich bin noch nicht fertig mit dir.«
Cædmon streckte die Beine aus und stellte fest, daß seine Füße eingeschlafen waren. Es kam ihm vor, als hätte er stundenlang im schmutzigen Stroh gekniet. Er bewegte die kribbelnden Zehen in den Schuhen und trank einen tiefen Zug aus dem Weinschlauch, um den Kloß hinunterzuspülen, der sich hartnäckig in seiner Kehle hielt.
Eine Weile redeten sie nicht. Cædmon konnte nicht sagen, was Etienne durch den Kopf ging. Er selbst wärmte sich an ihrer wiedergefundenen Freundschaft, lehnte mit geschlossenen Augen an dem dicken, steinernen Pfeiler und erging sich in einem kleinen Rausch der Leichtigkeit, wie er sie seit drei Jahren nicht mehr empfunden hatte. Aber dieses Gefühl war nur von kurzer Dauer. Die Furcht, die ihn beschlichen hatte, kaum daß er diesen Ort der Finsternis betreten hatte, war nicht gewichen.
»Was ist mit deinen Augen?« fragte er schließlich.
Etienne antwortete nicht sofort. Er regte sich, verschränkte die Arme, ließ sie wieder sinken und legte die Hände lose auf die angewinkelten Knie. »Die Augen sind nicht das Problem. Es ist mein Kopf. Ich sterbe, Cædmon.«
Cædmon kniff für einen Moment die Augen zu, riß sie wieder auf, wandte den Kopf und sah ihn an. Er war nicht wirklich überrascht. Er hatte es gewußt, als er ihn sah, stellte er fest. »Woran?«
Etienne wich seinem Blick aus und hob kurz die Schultern. Es wirkteverlegen. »Ich habe … Anfälle. Ich bekomme grauenhafte Kopfschmerzen. Sie … sind schlimmer als alles, was ich mir je hätte vorstellen können. Vor ein paar Tagen war es einmal so schlimm, daß ich geschrien habe. Stundenlang, sagen die Wachen. Ich weiß nichts mehr davon. Sie glaubten, ich sei von einem Dämon besessen, und holten Vater Maurice. Er blieb bei mir, bis es vorüberging, und ich habe ihn gebeten, einen jüdischen Arzt aus der Stadt herzuholen.« Er brach ab. »Und? Hat er’s getan?«
Etienne nickte. »Ein
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