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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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hatte. Über einen Monat lang hatte er hier unten zusammen mit Wulfnoth in Angst und Ungewißheit geschmort, nachdem Harold Godwinson damals die englische Krone an sich gerissen hatte. Er dachte an die Ratten, die Kälte, die Feuchtigkeit und das unreine Stroh – die Trostlosigkeit dieses Ortes, die sich mit jedem Tag schwerer auf Gemüt und Glieder gelegt hatte. Und Etienne hatte unbeirrbar zu ihm gestanden und den Zorn des Königs und des Seneschalls riskiert, indem er zu ihnen gekommen war. Ein wahrer Freund …
    »Was verschlägt Euch hierher?« fragte der Wachsoldat in dem kleinen, niedrigen Vorraum verwundert.
    »Ich möchte zu Etienne fitz Osbern.«
    »Tut mir leid, Thane. Niemand außer Vater Maurice darf zu ihm.«
    Cædmon hielt ihm einen Penny hin. »Guck in die andere Richtung.« Der Soldat nickte zögernd, ließ die Münze verschwinden und wies auf den Weinschlauch und den halben Brotlaib, die Cædmon trug. »Das könnt Ihr hier lassen. Seit Beginn der Fastenzeit ißt und trinkt er so gut wie nichts mehr.«
    »Wenn er es nicht will, kriegst du es«, versprach Cædmon. »Jetzt laß uns gehen.« Ehe mich der Mut verläßt, fügte er in Gedanken hinzu. Der Mann führte ihn zu der Tür des Verlieses, wo auch Cædmon und Wulfnoth eingesperrt gewesen waren. »Ich mach’ das nicht für den Penny, Thane«, stellte der Soldat verdrossen klar. »Wenn es rauskommt, krieg’ ich Schwierigkeiten. Ich tu’ Euch einen Gefallen.«
    »Und dafür bin ich dir dankbar«, versicherte Cædmon ihm ohne Spott.
    Der Wachsoldat brummte zufrieden, zog den Riegel zurück und öffnete die Tür. »Klopft dreimal, wenn Ihr rauswollt.«
    »Einverstanden.«
    Cædmon trat über die Schwelle in den großen Raum mit der niedrigen, gewölbten Decke. Hinter ihm schloß sich polternd die Tür, und die Flamme der einzelnen Fackel flackerte knisternd in der Zugluft, drohte zu verlöschen und beruhigte sich wieder.
    Etienne saß mit dem Rücken an einen der Pfeiler gelehnt. Er trug immer noch die blutbefleckten Kleider vom Tag der Schlacht bei Gerberoi. Die dunklen Haare waren fast bis auf Kinnlänge gewachsen, aber offenbar hatte er irgendwen überreden können, ihn zu rasieren; die Stoppeln auf seinem Kinn waren nur ein paar Tage alt. Die Schiene war von seinem linken Arm verschwunden, der gebrochene Knochen längst geheilt. Seine Hände lagen locker im Schoß verschränkt, und er hatte den Kopf zur Tür gewandt.
    »Cædmon?«
    »Ja.« Er räusperte sich.
    »Komm ein bißchen näher, wenn du so gut sein willst. Ich seh’ nicht mehr besonders gut.«
    Cædmon machte ein paar zögernde Schritt auf ihn zu. »Was heißt das, du siehst nicht gut?«
    Etienne winkte ab. »Willkommen in meinem bescheidenen Heim. Setz dich.«
    Cædmon sank vor ihm auf die Knie und streckte ihm entgegen, was er mitgebracht hatte. »Hier. Nicht viel, fürchte ich. Aber guter Wein.« »Danke, ich will nichts.«
    Sie sahen sich schweigend an. Etienne wirkte bleich und erschöpft. Das war nicht verwunderlich, schließlich war er seit über zwei Monaten hier unten, und Cædmon wußte, wie Kälte und Dunkelheit an den Kräften zehrten. Aber der distanzierte Ausdruck war ebenso aus Etiennes Augen verschwunden wie die eisige Feindseligkeit aus seiner Stimme.
    »Ich habe die Nachhut nicht zum Verrat angestiftet, Cædmon.«
    »Nein, ich weiß.«
    Beinah amüsiert fuhren die dunklen Brauen in die Höhe. »So sicher bist du dir dessen?«
    Cædmon hob langsam die Schultern und nickte wortlos.
    »Denk nicht, ich sei nicht versucht gewesen, mich Robert anzuschließen«, gestand Etienne offen.
    »Wegen Guillaume? Deinem Bruder?« vermutete Cædmon. »Ich weiß, daß er dir immer nahegestanden hat.«
    »Ja. Näher als Roger, obwohl Roger und ich all die Jahre in England waren und Guillaume hier. Aber wenn ich mich dazu entschlossen hätte, die Seiten zu wechseln, wäre ich in aller Offenheit gegangen. Ohne dem König in den Rücken zu fallen.«
    Cædmon nickte wiederum. Ungezählte Male hatte er versucht, dem König genau das zu erklären, war anfangs auf taube Ohren gestoßen, dann auf Ungeduld und schließlich auf zunehmend ernstgemeinte Drohungen.
    »Weißt du, daß mein Bruder hinkt? So wie du früher?« fragte Etienne beiläufig.
    »Ja, irgendwer hat mir davon erzählt.«
    »Aber anders als du wird Guillaume bis ans Ende seiner Tage hinken.« »Und weißt du, wem er das zu verdanken hat?«
    Etienne nickte. »Natürlich. Aber immerhin dachtest du, er habe deinen Bruder getötet,

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