Das zweite Königreich
getrauert. Um euch beide. Das reicht. Für wen soll ich heucheln? Sie werden uns so oder so nicht vergeben, ganz gleich, wie lange wir warten. Außerdem wäre es ein Wunder, wenn ich nicht schwanger wäre, bedenkt man, wie oft wir in den letzten Tagen … Das ist nicht komisch, Cædmon«, schloß sie spitz.
»Nein«, räumte er ein, bemühte sich um eine ernste, würdevolle Miene und nahm ihre Hand. »Ich bin erleichtert, das ist alles. Ich war sicher, du würdest warten wollen.«
»Ich hoffe nur, wir finden einen Priester, der uns traut«, murmelte sie unbehaglich.
»Odo wird es tun«, sagte er zuversichtlich. »Er wird knurren und sich ein wenig zieren, aber er wird es tun. Für dich.«
»Glaubst du wirklich?«
Er nickte.
Einen Moment schwiegen sie nachdenklich, und sogleich zogen die Wellen Cædmon wieder in ihren Bann. Er lauschte ihrem feierlichen, uralten Rhythmus, betrachtete die blauweißen Schaumkronen im Mondlicht und wünschte, er müßte noch nicht fort.
»Und was dann?« fragte sie schließlich.
Er hob leicht die Schultern. »Das hängt von den Wünschen des Königs ab.«
Sie sah ihm in die Augen und nickte mit einem eigentümlichen, kleinen Lächeln. »In der Hinsicht hat sich nichts geändert. Alles hängt immer von den Wünschen des Königs ab. Dein Leben, Etiennes, meins.«
»Ja. Und wenn er nach England zurückkehrt, wird es nicht viel Ruhe und Frieden geben. Aber erst einmal gehen wir nach Helmsby, wenn du einverstanden bist.«
»Mein Gott, du warst drei Jahre nicht dort«, ging ihr auf.
Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Es kommt mir vor wie zehn.« Er gestand ihr sein Heimweh, seine Sehnsucht nach den Söhnen und seine Sorge über die schwelenden Nachbarschaftsstreitigkeiten mit ihrem Bruder.
Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und sah genau wie er auf das weißschimmernde Felsentor im Meer hinaus. »Dann laß uns nachHelmsby gehen, Cædmon. Ich habe mir so oft vorgestellt, wie es wäre, als deine Frau dorthin zu kommen. Laß uns morgen aufbrechen. Ich glaube, es wird Zeit, daß wir das Paradies aufgeben.«
»Bist du sicher?«
»Ja.«
»In dem Falle … hier.« Er zog einen Apfel aus seinem Beutel und drückte ihn ihr in die Hand.
Der Abschied von Etretat wurde ihnen leicht gemacht, denn über Nacht schlug das Wetter um. Das Prasseln des Regens auf dem Zelt und die donnernde Brandung rissen sie vor Sonnenaufgang aus dem Schlaf. Cædmon warf einen kurzen Blick aufs Meer und verkündete, daß er bei diesen Windverhältnissen lieber nicht mit der Nußschale nach Fécamp segeln wolle.
Also tauschten sie ihr Boot im Dorf gegen ein altersschwaches, dürres Maultier ein. Cædmon wußte, daß er betrogen wurde, aber er feilschte nicht lange. Jetzt da sie sich einmal entschlossen hatten zurückzukehren, konnte er sein Heimweh kaum noch zügeln.
Sie ließen alles zurück, was sie entbehren konnten, dann half Cædmon Aliesa in den hölzernen Sattel des bedauernswerten Maultiers, nahm den Zügel und führte es einen gewundenen Pfad zwischen den ausgedehnten Weiden hinauf. Ehe sie die Straße nach Westen einschlugen, hielten sie an und sahen ein letztes Mal auf die weißen Felsentore weit unten im Meer hinab.
Sie wurden naß bis auf die Haut, aber es war nicht kalt und ihr Weg nicht sehr weit. Am späten Vormittag erreichten sie Fécamp und fanden ein dänisches Schiff, das französischen Wein, Pfeffer und andere Luxusgüter nach Dover bringen sollte, und dessen Kapitän gewillt war, zwei Passagiere an Bord zu nehmen, ohne Fragen zu stellen. Sie liefen trotz schwerer See mit der Abendflut aus. Aliesa fürchtete sich vor der nächtlichen Überfahrt in diesem Wetter, und die anzüglichen Pfiffe und unverschämten Blicke der Besatzung erregten ihren Zorn, aber sie beklagte sich mit keinem Wort. Cædmon wich die ganze Nacht keinen Schritt von ihrer Seite. Erschöpft, aber wohlbehalten erreichten sie am nächsten Morgen den Hafen von Dover, bezahlten dem dänischen Kapitän den vereinbarten Preis und begaben sich auf kürzestem Wege zur Burg hinauf.
»Es tut mir leid, Thane, aber der Bischof ist nicht hier«, eröffnete ihm der Steward, der sie in der Halle begrüßte und es geflissentlich vermied, Aliesa anzusehen. Die Neuigkeiten haben vor uns den Kanal überquert, erkannte Cædmon resigniert.
»Wann erwartet Ihr ihn zurück?« fragte er enttäuscht.
»Das kann ich nicht sagen.«
»Wo ist er denn?«
Der Steward nestelte unbehaglich am Ärmel seines Gewandes. »In
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