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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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nicht?«
    Sie schüttelte den Kopf und blickte mit leuchtenden Augen zu dem mächtigen Bogen auf. »Oh, Cædmon. Ich habe nicht geahnt, daß Gott ein solches Wunder in der Normandie geschaffen hat.«
    Er hielt genau auf das Tor zu. »Ich habe es zum erstenmal gesehen, als im Sommer vor der Eroberung die Flotte von der Divesmündung nach St. Valéry verlegt wurde. Und als ich es sah, habe ich davon geträumt, dich eines Tages hierher zu bringen.«
    Mit der Strömung schossen sie unter dem hohen, weiten Bogen hindurch in eine langgezogene Bucht mit einem schmalen Strand aus graugelbem Sand, an deren Ende sich eine weitere Klippe erhob, durchbrochen von einem ganz ähnlichen Bogen. Ein weißer Fels in Form einer gewaltigen Pfeilspitze ragte unmittelbar davor aus dem Wasser auf.
    Cædmon ließ das Boot auf den Strand auflaufen, sprang an Land und streckte ihr beide Hände entgegen.
    »Komm. Ich helfe dir. Gib acht, daß du nicht fällst.«
    Sie nahm seine Hand und kletterte von Bord, ohne darauf zu achten, wohin ihre Füße traten, drehte den Kopf bald nach links, bald nach rechts, legte ihn in den Nacken, um zu den hohen Klippen und dem makellos blauen Himmel aufzuschauen, und dann breitete sie die Arme aus.
    »Es ist der schönste Ort, den ich in meinem Leben je gesehen habe.« »Gut«, sagte er zufrieden. »Dann hast du wohl nichts dagegen, wenn ich uns hier ein Zelt aufschlage?«
    Sie betrachtete ihn mit leuchtenden Augen und einem fassungslosen Kopfschütteln. »Cædmon, auf was für Ideen du kommst.«
    »Also?«
    Sie lachte leise. »Von mir aus laß uns für den Rest unserer Tage hierbleiben.«
    Er lud das Gepäck aus dem Boot, und sie setzte sich in den Sand, verschränkte die Arme auf den angezogenen Knien und kam nicht im Traum darauf, ihm zu helfen. Er grinste verstohlen vor sich hin, ließ ein Bündel Zeltplane neben ihr fallen und hielt ihr einen grauen Leinenbeutel hin. »Hier. Brot, Rettich und Käse. Und ich habe einen Schlauch Cidre. Du mußt hungrig sein.«
    Sie nickte, öffnete den Knoten in der Kordel und förderte den Inhalt des Brotbeutels zu Tage. »Sehr weit werden wir nicht damit kommen«, bemerkte sie.
    Er holte den Cidre vom Boot und setzte sich neben sie. »Nein.« Dann wies er mit der Linken auf den Felsen an der Ostseite der Bucht. »Dahinter liegt ein kleines Fischerdorf. Dort bekommen wir sicher Proviant. Aber ich will nicht eher hingehen als nötig. Sicher werden die Leute neugierig und kommen her.«
    Sie lächelte flüchtig. »Was sie wohl denken werden, wenn sie uns sehen …«
    »Hm. Sie werden noch ihren Enkeln davon erzählen.«
    »Wie heißt dieses Dorf?« wollte sie wissen.
    »Etretat.«
    »Die Menschen von Etretat können sich glücklich preisen, an einem Ort wie diesem geboren zu sein.«
    »Ja. Und ich wette, sie wissen es nicht zu schätzen.«
    Sie aßen schweigend, und dann machten sie sich auf und folgten einem schmalen Pfad, der auf der Westseite in die Klippen hinaufführte. Sie fanden Hufabdrücke und Schafdung, aber jetzt waren weder Mensch noch Tier zu entdecken. Als sie die Anhöhe erklommen hatten, erstreckten sich hügelige Wiesen landeinwärts, so weit das Auge reichte. Große aufrechte Gesteinsfinger ragten aus den zerklüfteten Klippen, die steil abgestuft zum Meer hin abfielen. Ein paar Möwen flatterten unter entrüstetem Gekreisch davon, als sie zwischen den Felsen umherstreiften und über den Abgrund spähten. Bienen summten im Mohn und den kerzenförmigen, violetten Blüten einer Blume, die sie nicht kannten, und das gleichmäßige Rauschen der See weit unter ihnen überlagerte alles mit seinem einzigartigen Zauber.
    Cædmon lehnte an einem der Felsen, der ihn ein gutes Stück überragte, hatte die Arme verschränkt und beobachtete Aliesa, während sie eine kleine Höhle erkundete. Sie hatte sich ein wenig vorgebeugt, um in den niedrigen Einlaß sehen zu können, und er legte den Kopf schrägund betrachtete ihr Profil. Sie hob eine ihrer langfingrigen Hände, strich sich die Haare aus dem Gesicht, machte mit den Fingern einen Kamm und hielt sie hinter der Schläfe zurück, so daß ihr winziges Ohr freilag. Dann kniete sie sich hin, um ein verlassenes Möwennest am Eingang der Höhle in Augenschein zu nehmen, und es schnürte ihm die Luft ab, sie so im Gras knien zu sehen, vollkommen selbstvergessen, die Haare immer noch mit der Linken zurückgehalten.
    Er stieß sich von seinem Felsen ab und trat zu ihr, nahm behutsam ihren Arm und zog sie zu sich hoch.
    Sie sah

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