Das zweite Königreich
trat, die leise miteinander sprachen. »Ich danke Euch, daß Ihr gekommen seid, um meiner Mutter Trost zu spenden, Monseigneur. Jetzt in des Königs Abwesenheit wart Ihr in Dover sicher schwer abkömmlich.«
Odo winkte ab. »Das war das mindeste, das ich für sie tun konnte. Sie war eine großartige Frau, ich habe sie sehr verehrt. Außerdem hat der ehrwürdige Erzbischof Lanfranc das Reich fest in der Hand. Ich bin überzeugt, auf Euren Bruder Guthric kann er schlechter verzichten als auf mich.« Er wurde wieder ernst. »Es tut mir leid, Cædmon.«
»Danke.«
Ælfric und Wulfnoth standen ein paar Schritte entfernt, traten ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, wagten sich aber nicht näher. Aliesa wandte sich ihnen schließlich zu, stützte die Hände auf die Oberschenkel und studierte ihre Gesichter. »Ist dieser wackere kleine Ritter tatsächlich Wulfnoth of Helmsby?« fragte sie scheinbar ungläubig.
Der kleinere der beiden Jungen nickte scheu. »Ja, Lady.«
»Erinnerst du dich an mich?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nun, es ist vier Jahre her, daß wir uns gesehen haben, du warst halb so alt wie heute. Aber damals waren wir gute Freunde.«
Wulfnoth senkte schüchtern die Lider und fand nichts zu sagen.
Cædmon trat hinzu und sagte, was alle Väter nach langer Abwesenheit zu ihren Söhnen sagten: »Ihr seid groß geworden.«
Ælfric, der im letzten Monat zehn Jahre alt geworden war, hatte tatsächlich schon die kindlichen Rundungen abgelegt; seine langen, muskulösen Beine waren eher die eines unermüdlichen Athleten denn die eines Kindes.
»Alfred unterrichtet mich im Umgang mit der Streitaxt«, berichtete er stolz.
Cædmon legte jedem der Jungen eine Hand auf die Schulter. »Ich bin sicher, du machst dich prächtig. Sag Aliesa guten Tag, Ælfric. Sie ist … na ja, ich schätze, sie ist so etwas wie deine Stiefmutter.«
Ælfric verneigte sich höflich, gab jedoch zu bedenken: »Aber meine Mutter lebt doch noch.«
Cædmon warf unwillkürlich einen unbehaglichen Blick in Odos Richtung und sagte leise: »Ich würde sagen, das eine schließt das andere nicht aus, Ælfric, doch wir werden später noch in Ruhe darüber reden.« Er wandte sich an Wulfnoth. »Und was meinst du?«
Der jüngere der Brüder schrumpfte unter dem forschenden Blick seines Vaters sichtlich in sich zusammen. »Wo ist Prinz Henry?« fragte er leise. »In Rouen. Aber er wird bald heimkommen.«
Wulfnoth nickte, dann hob er den Blick und sah seinem Vater in die Augen. »Großmutter ist gestorben.«
Cædmon fuhr ihm mit der Linken durch den dunkelblonden Schopf. »Ich weiß. Sei nicht so traurig, Wulfnoth. Wir alle müssen irgendwann sterben, und deine Großmutter war eine alte, kranke Frau. Jetzt ist sie im Himmel und darf Gott in seiner Herrlichkeit schauen.«
»Ich bin nicht traurig«, eröffnete sein Sohn ihm in kindlicher Ehrlichkeit. »Sie konnte uns nicht leiden und hat nie mit uns gesprochen. Sie hat mir angst gemacht. Ich bin froh, daß sie in der Erde liegt und nicht mehr über uns schimpfen kann.«
Cædmon war schockiert. Er wußte beim besten Willen nicht, was er darauf sagen sollte. Daß seine Mutter gestorben war, erschreckte ihn; auf einmal fühlte er sich steinalt. Und er trauerte um die kühlen Hände, das ungestüme Temperament und die unkritische Mutterliebe, die seine Kindheit so reich und so sicher gemacht hatten. Aber er konnte die Augen nicht vor der Erkenntnis verschließen, daß er im Grunde ebenso erleichtert war wie Wulfnoth. Ein Zusammenleben mit seiner Mutterwäre niemals einfacher geworden, schon gar nicht für Aliesa. Marie hätte sie nie vergessen lassen, wie sie über ihre Ehe dachte, und Aliesa wäre aufgrund ihrer Erziehung und ihres Wesens unfähig gewesen, sich gegen diese Attacken zur Wehr zu setzen.
Wulfnoth kam den halbherzigen Vorhaltungen seines Vaters zuvor, indem er mit bangen Augen fragte: »Es ist böse, so etwas zu denken, nicht wahr?«
Cædmon sah die Angst in den großen blauen Kinderaugen und spürte, wie es eng um seine Brust wurde. Er liebte seine beiden Söhne gleichermaßen, aber Wulfnoth erweckte immer einen eigentümlich heftigen Drang in ihm, ihn mit Klauen und Zähnen gegen die Welt zu verteidigen. »Ich glaube, man kann nichts für die Dinge, die einem so durch den Kopf gehen, weißt du. Und es war gewiß nicht recht von deiner Großmutter, daß sie keine Liebe für euch hatte und dich und Ælfric für Dinge büßen ließ, die nicht eure Schuld waren. Aber es gibt
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