Das zweite Königreich
er nichts, da kannst du sicher sein. Und wenn Hereward nicht mehr hier ist, spielt es keine Rolle, welche Gerüchte dem Sheriff zu Ohren kommen. Wenn er euch heimsucht, schickt mir einen Boten, so wie früher.«
Hengest starrte ihn ungläubig an. Er hatte offenbar nicht damit gerechnet, daß Metcombe weiterhin unter Cædmons Schutz stehen würde. Aber er brachte es nicht fertig, ihm zu danken, sondern fragte lediglich: »Wo bringt ihr Hereward hin? Nach Helmsby?«
Cædmon sah einen Moment in die immer noch lodernden Feenaugen und schüttelte den Kopf. Helmsby hatte kein Verlies, und er traute Hereward nicht. Wenn er satt und ausgeschlafen war, mochte sein Kampfgeist zurückkehren, und Cædmon hätte allerhand zu erklären, wenn dieser Gefangene ihm entwischte. Oder Lucien könnte kommen und ihn holen und Gott weiß was mit ihm tun, und das wollte Cædmon ebensowenig.
»Nach Dover«, antwortete er schließlich. »Zu Bischof Odo, des Königs Bruder. Er hat ein Herz für in Ungnade gefallene Engländer – das weiß niemand besser als ich.«
Helmsby Juli 1079
Er hatte damit gerechnet, daß Aliesa einige Tage fortbleiben würde, aber nach zwei Wochen begann er, sich zu sorgen, und er vermißte sie fürchterlich. Doch er widerstand der Versuchung, ihr zu folgen, und schickte statt dessen Alfred nach Blackmore, um sich ein wenig umzuhören. Die Gerüchte, die der Steward mit heimbrachte, waren beruhigend, wenn auch ein wenig rätselhaft. Die Bauern erzählten sich, der Sheriff habe seine Schwester mit größter Herzlichkeit aufgenommen und auch die Schwester des Thane of Helmsby höflich empfangen, aber seit ihrer Ankunft hatte niemand mehr die schöne Beatrice zu Gesicht bekommen. Nun, Cædmon war sicher, Hyld und Aliesa würden ihm in allen Einzelheiten von ihrem Besuch in Fenwick berichten. Fürs erste war er zufrieden damit zu wissen, daß sie wohlauf waren.
Er vertrieb sich die Tage mit Arbeit. Die Ernte hatte begonnen, und oftwar er von früh bis spät mit Alfred zusammen draußen auf den Feldern. Meistens nahm er Ælfric und Wulfnoth mit. Er genoß die Gesellschaft seiner Söhne, und er hielt sein Versprechen, erzählte ihnen von Normannen und Engländern, ihren Vorzügen und Schwächen und Gemeinsamkeiten. Ælfric blieb allem Normannischen gegenüber skeptisch, so sehr Cædmon sich auch bemühte, Treue und Loyalität, diese alten Tugenden angelsächsischer Krieger, für den König in ihm zu wecken. Doch immerhin lauschte Ælfric ihm höflich und aufmerksam, und seine vielen Fragen verrieten, wie gründlich er über alles nachdachte, was sein Vater ihm sagte. Wulfnoth legte nach und nach seine Scheu ab und sog all das neue Wissen über die normannische Welt gierig in sich auf. Oft wies er auf einen Gegenstand, ein Tier oder einen Baum und fragte seinen Vater, wie sie auf normannisch hießen, und er vergaß nie ein einziges Wort. Ælfric betrachtete seinen Bruder mit Unverständnis und manches Mal kopfschüttelnd, aber nicht mehr mit der gleichen Herablassung wie noch vor Mittsommer. Cædmon erfuhr nie, worum es sich bei dem Versprechen gehandelt hatte, das Wulfnoth seinem großen Bruder abgegaunert hatte, doch offenbar stand Ælfric zu seinem Wort und empfand plötzlich eine gewisse Achtung für Wulfnoth. Cædmon war stolz auf sie beide und nicht wenig erleichtert. Dunstan, den er so oft in seinem draufgängerischen Ältesten wiederentdeckte, wäre jedes Mittel recht gewesen, fair oder unfair, um sich vor der Einlösung eines unbequemen Versprechens zu drücken.
Der St.-Swithun-Tag Mitte Juli brachte Regen, wie Cædmons linkes Bein ihm schon beim Aufwachen angekündigt hatte. Der Wetterumschwung löste allgemein Stöhnen und Jammern aus, denn jeder wußte: Regnete es an St. Swithun, regnete es vier Wochen lang. Doch mit dem Regen kam an diesem Feiertag auch der Bischof von Elmham mit seinem Diakon und einer Schar von Kaplänen und weihte die neue, steinerne St.-Wulfstan-Kirche von Helmsby. Beim anschließenden Festmahl in der Halle gratulierte er Cædmon überschwenglich und wiederholt zu diesem neuen Gotteshaus und vertraute ihm zum Abschied an, er sei überzeugt, daß Cædmon mit dieser Gabe an Gott alle Sündenschuld getilgt habe, die er mit seiner etwas … nun ja, delikaten Eheschließung auf sich geladen habe.
Als die bischöfliche Delegation Helmsby verließ, begab Cædmon sich zurück in die jetzt verlassene Kirche. Die kühle, feuchte Luft im Innerenwar immer noch schwer von Weihrauch. Er sog
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