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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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hintergehen, nicht wahr? Einen Helden deines Volkes auszuliefern fällt dir hingegen nicht schwer.«
    Es bekümmerte ihn, daß sie so schlecht von ihm dachte, und ihre Bitterkeit kränkte ihn. Aber er erwiderte ruhig: »Du hast recht, Gytha. Ich kann den König nicht hintergehen, denn ich habe ihm einen Eid geleistet. Und Hereward ist kein Held, glaub mir. Als Ely fiel, ist er geflohen und hat all seine Männer im Stich gelassen. Auch meinen Bruder. Aber darum geht es nicht. Ich bin nicht hier, um Hereward zur Rechenschaft zu ziehen, sondern um euch zu schützen und mich selbst. Ihr wart zu unvorsichtig. In Helmsby pfeifen es die Spatzen von den Dächern: ›Der Müller von Metcombe hält Hereward den Wächter versteckt‹. Ælfric und Wulfnoth wissen es. Mein Gesinde und meine Pächter wissen es vermutlich auch schon. Irgendwann wird die Neuigkeit sich bis nach Blackmore verbreiten, und was die Leute von Blackmore wissen, weiß auch bald der Sheriff, denn die Bauern dort leben in Angst vor ihm, und früher oder später wird einer es ihm sagen. Und dann wird er herkommen, Metcombe niederbrennen und Hengest blenden oder töten oder beides. Sie werden …«
    »Hör auf!« unterbrach sie ihn schneidend. Sie trat zu ihren drei Söhnen, die mit angstvoll aufgerissenen Augen zu dem fremden Mann aufstarrten. Der älteste, vielleicht vier oder fünf und alt genug zu verstehen, was Cædmon gesagt hatte, brach in Tränen aus und vergrub das Gesicht in den Röcken seiner Mutter.
    Gytha bedachte Cædmon mit einem verächtlichen Blick und strich ihrem Sohn mit einer ihrer schwieligen Hände über den Kopf. »Das ist es, was ihr Normannen am besten könnt: Kinder erschrecken.«
    Cædmon senkte den Blick. »Ich bin kein Normanne, Gytha. Und es tut mir leid, ich wollte weder dir noch deinen Söhnen angst machen. Aber du mußt mir helfen. Und euch. Was … was würdest du sagen, wenn ich mein Schwert und mein Messer hierließe und nur zu Hereward ginge, um mit ihm zu sprechen? Niemand könnte dir einen Vorwurf machen, schließlich weiß ich ja ohnehin schon, daß er hier irgendwo ist.«
    Gytha sah ihn verständnislos an, ihre großen Augen waren voller Unruhe. »Er wird dich töten, wenn du unbewaffnet zu ihm kommst.«
    »Das glaube ich nicht.«
    Er löste seinen Schwertgürtel und legte ihn auf den Tisch. Dann zog er das lange Jagdmesser aus der Scheide und rammte es hoch oben in einen Balken, damit die Kinder nicht herankommen und sich beim Spielen verletzen konnten.
    Gytha beobachtete ihn mit leicht geöffneten Lippen. »Woher weiß ich, daß im Wald nicht ein Dutzend normannischer Soldaten warten?« Er sah sie wortlos an.
    Sie schlug die Augen nieder und schüttelte den Kopf. »Entschuldige.« »Du mußt mir glauben, Gytha, ich bin hier, um euch zu schützen.« Es war so schwer, ihm zu glauben, nachdem der Müller ihr seit Jahren vorgebetet hatte, daß Cædmon of Helmsby ein Normannenfreund sei und kein Herz für sein eigenes Volk habe. Mit der ihr eigenen Bedächtigkeit wägte sie Für und Wider ab, sann über alles nach, was Cædmon einerseits und ihr Mann andererseits gesagt hatten, und traf ihre Wahl. »Weißt du, wo Godric der Flußschiffer wohnt?«
    »Ja.«
    »Auf halbem Weg zu seinem Haus steht eine alte Schäferhütte. Sie wird nicht mehr benutzt; das Moor ist dorthin gewandert, und zu viele Schafe ertranken. Da versteckt sich Hereward.«
    Cædmon nickte und wollte sich abwenden.
    »Warte …«
    Sie hob den weinenden Jungen auf den Arm und wiegte ihn. Zu Cædmon sagte sie: »Ich habe es mir überlegt. Nimm deine Waffen mit. Ich will nicht, daß er dich tötet.«
    Er zögerte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. Er war versucht, ihr zu verraten, daß er ein kleines Wurfmesser im Schuh trug, tat es aber nicht. Es konnte schließlich nicht schaden, wenn sie ihn für unerschrockener hielt, als er war. »Nein, vielleicht ist dies wirklich der bessere Weg. Und Hereward wird keinen unbewaffneten Mann töten.« »Sieh dich vor«, bat sie leise. »Und hüte dich vor dem Moor, hörst du.« Er trat zu ihr und küßte sie lächelnd auf die Wange. »Sei unbesorgt. Vor Sonnenuntergang komme ich wieder und hol’ mir mein Schwert.«
     
    Der Flußschiffer wohnte ein Stück außerhalb des Dorfes an einem der zahllosen Zuflüsse des Ouse, und der Weg führte durch sumpfige Heide und kleine Gehölze. Cædmon ging zu Fuß. Nach einer guten Viertelstunde sah er die verfallene Schäferhütte in einer flachen Senke vor sich liegen,

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