Das zweite Königreich
blieb im Schutz einer kleinen Gruppe von Weißdornsträuchernstehen und beobachtete sie. Nichts rührte sich. Die Hütte war kaum mehr als ein armseliger Bretterverschlag mit einem löchrigen Strohdach. Sie mochte einmal eine Tür gehabt haben, aber jetzt gähnte nur eine schiefe Öffnung in den hellen Sommertag hinaus, und die Schwärze im Innern wirkte bedrohlich, als liege dort etwas auf der Lauer.
Cædmon zögerte. Ein seltsam heftiges Gefühl warnte ihn, sich weiter zu nähern. Er erwog, kehrtzumachen, von hinten an die Hütte heranzuschleichen und an einer Ritze zwischen den verwitterten Brettern zu lauschen, als hinter ihm plötzlich ein leises Rascheln erklang. Er fuhr herum und fand sich Auge in Auge mit Hengest, der eine blankpolierte Streitaxt in Händen hielt. Und der Müller war nicht allein. Links und rechts von ihm standen zwei junge Burschen, die Cædmon nicht kannte, der Kleidung nach Bauern, und sie waren mit furchteinflößenden Knüppeln bewaffnet.
»Ich bedaure, daß Ihr hergekommen seid, Thane«, sagte der Müller, und es klang tatsächlich so, als tue es ihm leid.
Cædmon spielte seinen einzigen Trumpf aus: »Ich bin unbewaffnet, Hengest.«
»Das war unvorsichtig von Euch. Doch es wird Euch nicht retten«, entgegnete er.
»Aber Hengest …«, begann einer der Milchbärte unsicher. »Er ist der Thane. Und … man darf doch keinen unbewaffneten Mann erschlagen.«
Hengest warf ihm stirnrunzelnd einen kurzen Blick zu. »Das ist auch nicht nötig. Selbst ein Thane kann im Moor ertrinken.«
Ah ja? dachte Cædmon. Erst mußt du mich zu fassen kriegen, du Bastard …
»Würdest du einem Todgeweihten eine letzte Bitte gewähren, Hengest?« erkundigte er sich.
»Ihr solltet lieber nicht glauben, ich würde es nicht tun«, knurrte der Müller drohend. »Ihr seid ein Verräter an Eurem Volk, und ich werde mich nicht fürchten, Eurem Vater und Großvater im Jenseits Rede und Antwort zu stehen, wenn ich Euch töte!«
Cædmon verkniff sich eine bissige Antwort. Es hatte keinen Sinn, den Mann weiter zu reizen, denn er war gefährlich. Seit Jahren hegte der Müller einen schwelenden Groll gegen Cædmon, der viel mehr mit Gytha als mit König William oder Hereward zu tun hatte.
»Beantwortest du meine Frage?« erkundigte er sich.
»Was wollt Ihr?«
»Laß mich mit Hereward sprechen. Nur einen Moment.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil Ihr ihn schändlich verraten habt und es gewiß schmerzlich für ihn wäre, Euch zu sehen. Der Mann hat genug gelitten.«
»Wenn ich ihn verraten habe, solltest du ihm das Recht, mich selbst zu töten, nicht streitig machen.«
Der Müller schien einen Augenblick unsicher, und noch ehe er eine Entscheidung getroffen hatte, fragte Cædmon: »Bewacht ihr euren Helden immer zu dritt, oder habt ihr mich erwartet?«
Hengest hob die Rechte und wies auf den schlaksigen Jüngling an seiner Seite. »Bedwyn hat Euer Pferd im Wald gesehen. Ich war schon auf dem Heimweg, als er und sein Bruder …«
Cædmon packte die Axt, ehe der Müller wieder beide Hände am Griff hatte, und entriß sie ihm mit einem gewaltigen Ruck. Dann machte er einen Satz nach hinten und ließ die gefährliche Waffe einmal vor sich durch die Luft sausen, als sei es eine Sense, um die drei Männer auf Abstand zu halten.
Er stand breitbeinig, die Axt einsatzbereit in beiden Händen, und grinste in drei verdatterte Gesichter. »Und was machen wir nun, Hengest?« Der Müller ließ ihn nicht aus den Augen. »Bedwyn, lauf ins Dorf und trommel alle Männer zusammen, na los …«
Der junge Bursche wandte sich ab und rannte los, aber er war noch keine zehn Schritt weit gekommen, als Cædmon seinen linken Fuß hob und einen Augenblick wie ein Storch dastand, das Messer aus dem Schuh zog und aus dem Handgelenk warf. Die kleine Waffe wirbelte pfeilschnell durch die Luft, und die Klinge drang in Bedwyns Wade. Der Junge jaulte auf, stürzte der Länge nach und landete mit einem dumpfen Platschen in einem der tückischen Schlammlöcher.
»Bedwyn!« rief sein Bruder entsetzt und wollte zu ihm laufen, aber Cædmon hob drohend die Axt. »Du rührst dich nicht, Bürschchen.« »Aber Thane … er ist mein Bruder!«
Cædmon sah ihn finster an. »Dann schwöre beim Leben deines Bruders, daß du mir gehorchen wirst und nicht dem Müller.«
Der Junge legte ohne zu zögern die Linke aufs Herz und hob die Rechte. »Ich schwöre.«
Cædmon machte eine einladende Geste, und der Junge wandte sich ab, riß sich im Laufen
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