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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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den betäubenden, aber doch so wohltuenden Duft tief ein und sah sich aufmerksam um. Vier Säulenpaare trennten die Seitenschiffe vom mittleren Hauptschiff der Kirche. Von Säule zu Säule spannte sich ein Rundbogen, hinter jedem Rundbogen lag eine Fensteröffnung in den Wänden der Seitenschiffe, durch die das Licht des regnerischen Nachmittags hereinfiel. Eines Tages, dachte er, würde er vielleicht Glas in diese Fenster einsetzen lassen. Über den hohen Fenstern des Mittelschiffs spannte sich ein hölzernes Tonnengewölbe, und wenn man, so wie er jetzt, mit dem Rücken zum noch fehlenden Portal stand, schien der ganze Bau auf den Altarraum an der Ostseite ausgerichtet, schienen die Säulen geradewegs dorthinzustreben. In der Apsis führte eine schmale Treppe hinab in die Krypta, wo in einem schlichten, steinernen Reliquiar der Knochensplitter des heiligen Wulfstan aufbewahrt wurde, den die Pfarrei ihr eigen nannte, und wenn er irgendwann einmal wieder Geld hatte, wollte Cædmon über der noch unvollständigen Westfassade der Kirche einen Turm errichten. Schon jetzt war der Bau prachtvoll, und die Bauern von Helmsby senkten ehrfürchtig die Köpfe, wenn sie ihn betraten. Cædmon hätte stolz auf sein Werk sein sollen. Zumindest zufrieden. Was er statt dessen empfand, begann als sanfte Melancholie und drohte in der berüchtigten Düsternis auszuufern, die ihm nur zu vertraut war. Er entzündete zwei Kerzen, eine für Richard, eine für Etienne, stellte sie auf den Altar, kniete davor nieder und suchte Trost im Gebet. Aber der Trost wollte sich nicht einstellen, und so betete er eben um Aliesas baldige Heimkehr, denn er wußte, sobald sie wieder da war, würde die Düsternis weichen.
    Als er leise Schritte auf den steinernen Bodenplatten vernahm, glaubte er, Gott habe seinen Wunsch ungewöhnlich prompt erfüllt, und er wandte hoffnungsvoll den Kopf.
    Doch nicht Aliesa durchquerte das dämmrige Mittelschiff, sondern eine kleine, dunkle Gestalt in Kutte und Kapuze. »Cædmon? Entschuldige, daß ich dich störe. Dein Steward sagte mir, ich könne dich hier finden …«
    »Bruder Oswald!« Er erhob sich eilig, trat ihm entgegen und schloß ihn in die Arme. »Was in aller Welt verschlägt dich nach Helmsby?«
    Bruder Oswald antwortete nicht sofort, sondern sah sich aufmerksam um. »Welch eine wundervolle Kirche, Cædmon. Meinen Glückwunsch.«
    »Danke. Komm, laß uns zur Halle hinübergehen.«
    Oswald winkte ab. »Bleiben wir noch einen Moment. Ich möchte sie mir in Ruhe ansehen. Außerdem gießt es draußen wie aus Kübeln.« Cædmon hob lächelnd die Schultern. »Wenn wir warten wollen, bis es aufhört, müssen wir auf ein Wunder hoffen oder verhungern. Heute ist St. Swithun.«
    »O nein, ist das wahr?«
    »Das solltest du besser wissen als ich, Bruder Oswald.«
    »Oh, Cædmon, wenn du wüßtest …«
    Cædmon erkannte auf einmal, wie unglücklich und rastlos sein alter Freund wirkte. »Was ist passiert?«
    Der kleine Mönch schnitt eine halb komische, halb klägliche Grimasse. »Ich habe mich mit meinem Abt überworfen. Wenn du es genau wissen willst: Ich bin ohne Erlaubnis aus Winchester verschwunden. Ich bin … na ja, auf der Flucht.«
    Cædmon starrte ihn ungläubig an, ehe er sich entsann, was Guthric ihm erzählt hatte. »Dein geldgieriger Abt hat dir keine Ruhe gelassen, was?«
    »Nicht nur das. Er ist geistlos und grausam. Er schikaniert die englischen Brüder. In diesem Fall haben der König und Lanfranc schlecht gewählt, Cædmon. Guy de Lisieux ist kein geeigneter Vorstand für ein englisches Kloster.«
    »Du solltest Guthric davon berichten. Wenn er es Lanfranc vorträgt, wird der Erzbischof sich der Sache annehmen.«
    Oswald nickte. »Ich war bei Guthric, und er hat versprochen, sich darum zu kümmern. Es bleibt aber leider die Tatsache, daß ich eins meiner drei Gelübde gebrochen habe.« Er lächelte ein wenig verloren. »Gehorsam ist mir immer schwerer gefallen als Armut und Enthaltsamkeit. Jedenfalls sagte Guthric, es sei ratsam, wenn ich eine Weile untertauche, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Und er sagte, du suchst einen Lehrer für deine Söhne.« Er breitete die Arme aus. »Du hast Glück. Derzeit bin ich billig zu haben. Ein Dach über dem Kopf und zwei schlichte Mahlzeiten am Tag reichen mir voll und ganz.«
    Cædmon strahlte. Es hätte kaum besser kommen können. Er nahm den Bruder beim Arm. »Dann sei willkommen in Helmsby, Oswald. In wessen Obhut wüßte ich Ælfric und Wulfnoth

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