Das zweite Königreich
ihre Wange. »Ashby und Blackmore gehören dir«, murmelte sie schläfrig. »Lucien hat mir eine Urkunde gegeben.« Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Du bist unglaublich, Aliesa.«
»Ja. Ich weiß.«
Sie schlief bis kurz nach Mitternacht. Cædmon wich nicht von ihrer Seite. Er saß auf der Bettkante und studierte ihr Gesicht, lauschte ihrem Atem und fragte sich, was sie träumte. Als sie schließlich mitten in der Nacht aufwachte, sah sie ihm einen Moment wortlos in die Augen, zog ihn dann zu sich herab, und er liebte sie so behutsam und vorsichtig wie er konnte. Gleich darauf schlief sie wieder ein, und sie wachte nicht auf, als es hell wurde.
»Es liegt an der Schwangerschaft«, erklärte Hyld ihm, als sie beim Frühstück die Köpfe zusammensteckten. »Bei manchen Frauen ist es einfach so, es zehrt alle Kräfte auf, die sie haben. Wäre sie eine einfache Bauersfrau, die hart arbeiten muß, egal ob schwanger oder nicht, würde sie niemals ein Kind austragen. Auch so bin ich keineswegs sicher, ob sie es schafft. Sobald sie sich anstrengt, fängt sie an zu bluten. Wenn du Wert auf einen ehelich geborenen Erben legst, dann sorg dafür, daß sie sich schont.«
Er winkte ungehalten ab. »Darum geht es nicht. Ich ängstige mich um sie.«
Hyld nickte seufzend. »Das hast du mit ihrem Bruder gemeinsam. Seine eigene Frau ist ebenfalls guter Hoffnung, und ihr ist von früh bis spät speiübel. Aber um sie war er nicht halb so besorgt wie um Aliesa. Ich glaube, er wird dir nie verzeihen, daß du sie geschwängert hast.«
Cædmon brummte und starrte einen Moment in sein Bier. »Es gibt so viele Dinge, die er mir nie verzeihen wird, daß es darauf auch nicht mehr ankommt. Und? Wie war er?«
Hyld antwortete nicht sofort.
Sie hatte Aliesa unter größten Bedenken nach Fenwick begleitet, hatte sich nur dazu überreden lassen, weil sie ihre normannische Schwägerin wirklich ins Herz geschlossen hatte. Und als sie Lucien de Ponthieu wiedersah, war genau das eingetreten, was sie befürchtet hatte: Der grauenhafte Tag, da die Todesreiter nach Salby gekommen waren, die unbeschreiblichen Wochen danach, selbst der Schmerz über den Tod des kleinen Olaf – alles war plötzlich wieder gegenwärtig. Doch Luciens Freude über das Wiedersehen mit seiner Schwester war so groß, daß sie ihn völlig verwandelte, aus dem todbringenden Finsterling einen strahlenden, verblüffend gutaussehenden jungen Edelmann machte. Plötzlich wirkte er keineswegs mehr bedrohlich, sondern regelrecht übermütig, und das hatte es Hyld leichter gemacht, ihren Schrecken zu überwinden. »Er war außer Rand und Band vor Seligkeit. Zuerst. Aber er hatte nochnicht gehört, was alles passiert ist, und als Aliesa ihm sagte, daß ihr geheiratet habt, da hat er sie angesehen, als habe sie ihm plötzlich aus heiterem Himmel einen Dolch ins Herz gerammt. Er stand auf und ging ohne ein Wort hinaus.« Hyld aß versonnen zwei Löffel Hafergrütze, ehe sie achselzuckend fortfuhr: »Schließlich hat er sich beruhigt. Aliesa versteht ihren Bruder wirklich zu nehmen. Sie hat ja auch ein Leben lang Übung darin. Er hat versprochen, dich und die Deinen und dein Land in Zukunft zufrieden zu lassen. Ich denke, du brauchst dir um ihn keine Sorgen mehr zu machen.« Nur wenn Aliesa im Kindbett sterben sollte, würde Lucien de Ponthieu weder rasten noch ruhen, bis er Cædmon getötet hatte, dachte sie besorgt.
»Und … Beatrice?« fragte ihr Bruder weiter.
Hyld verzog das Gesicht. »Beatrice ist ein Ungeheuer.«
»Tja. Ein eiskalter Engel.«
»Nun, in Luciens Bett ist sie alles andere, heißt es. Geradezu heißblütig. Aber nur, wenn er sie vorher schlägt. Daran haben sie beide Spaß, scheint es, also sind sie in gewisser Hinsicht ein perfektes Paar.«
»Mögen sie zusammen glücklich werden.« Cædmon nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher, um zu vertuschen, wie angewidert er war. »Ich merke, du hast mit ihrem Gesinde geplaudert.«
Hyld nickte. »Und hanebüchene Geschichten gehört. Die Leute leben in Angst und Schrecken vor Beatrice. Und sie hassen sie. Wenn sie sich nicht vorsieht, wird sie eines Tages auf Nimmerwiedersehen im Moor verschwinden. Fenwick ist ein Ort des Jammers, Cædmon. Alle leben in Furcht. Die Mägde und Knechte fürchten sich vor Beatrice, Beatrice fürchtet sich vor Lucien, Lucien fürchtet englische Rebellionen, und mehr als alles andere fürchtet er sich vor eurem König.«
Der König blieb jedoch vorläufig auf dem Kontinent, wo die
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