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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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auf Armen und Rücken. Northumbria war das letzte, worüber er mit Lucien sprechen wollte. Zu viele grausige Erinnerungen waren daran geknüpft. Aber dies war das erstemal, seit sie sich kannten, daß Lucien ihm nicht offenkundig feindselig begegnete, und das wollte er nicht gleich wieder zunichte machen.
    »Warum? Was hörst du aus Northumbria?«
    Lucien hob leicht die breiten Schultern und stützte dann den einen Ellbogen auf den Tisch. »Der Erzbischof von York hat eine Intrige aufgedeckt. Eine Handvoll northumbrischer Thanes und reicher dänischer Kaufleute wollten dem König von Dänemark einen Boten schicken.«
    Cædmon stöhnte. »Um ihn und seine Flotte einzuladen? Werden die Leute im Norden denn nie klüger? Hat ihnen der letzte Besuch der Dänen nicht gereicht?«
    »Tja«, machte Lucien. »Sie fürchten sich vor den Schotten und glauben, König William sei nicht gewillt oder in der Lage, sie gegen Malcolm zu schützen.«
    Cædmon schüttelte den Kopf. Der König konnte nicht überall gleichzeitig sein. Wäre er letzten Herbst in England gewesen, hätte er die Schotten aus Nordengland vertrieben. Aber die Lage in Frankreich hatte ihn gehindert.
    »Nun, wenn man die Dinge aus der Sicht der Northumbrier betrachtet, kann man sie verstehen«, meinte Aliesa nachdenklich. »Wenn der König nicht selbst gegen die Schotten ziehen konnte, hätte er einen seiner Brüder oder Rufus schicken sollen. Kein Wunder, daß die Menschen im Norden den Eindruck haben, der König habe kein gesteigertes Interesse daran, sie zu beschützen.«
    »Sie haben dem König nie den geringsten Anlaß gegeben, sie ins Herz zu schließen«, bemerkte Lucien sarkastisch.
    Seine Schwester schüttelte entschieden den Kopf. »Niemand verlangt, daß er sie ins Herz schließt. Aber er ist ihr König, und sie haben ein Anrecht auf seinen Schutz.«
    Lucien sah von ihr zu Cædmon. »Ich ahne, woher du deine politischen Ansichten nimmst.«
    Sie straffte die Haltung. »Siehst du diesen Kopf auf meinen Schultern, Lucien? Meinst du, er sei nur dazu da, ein couvre-chef zu tragen?«
    Er hob zerknirscht die Hand. »Nein. Ich kenne diesen Kopf schon ein Weilchen, und ich weiß, daß er die eigenwilligsten Gedanken ausbrütet.«
    Cædmon sah Beatrice einen eifersüchtigen Blick in Aliesas Richtung werfen und wandte den Kopf ab, um sein Grinsen zu verbergen und den Mundschenk zu rufen. »Ælfric, bring dem Sheriff neuen Wein. Ælfric? Wo ist dein Bruder, Wulfnoth?«
    Der große Weinkrug war für den neunjährigen Jungen eigentlich noch zu schwer, aber Wulfnoth, der die Gäste an der linken Tafel zu versorgen hatte, schlug sich wacker. Jetzt kam er an die Kopfseite, füllte Luciens Becher, ohne einen einzigen Tropfen zu verschütten, und sagte: »Ich weiß es nicht, Vater.« Er hielt den Blick gesenkt.
    »Wulfnoth«, begann Bruder Oswald leise, und sein Tonfall verhießnichts Gutes. »Ich habe dir diese Woche schon zweimal gesagt, daß eine Lüge auch dann Sünde ist, wenn du sie aussprichst, um deinen Bruder zu decken. Weißt du noch?«
    Wulfnoth nickte.
    »Wie bitte?«
    »Ja, Bruder Oswald.«
    »Und was, denkst du, muß ich tun, damit du endlich beherzigst, was ich dir sage?«
    Wulfnoth schluckte sichtlich und brachte kein Wort heraus. Wie so oft kam Aliesa ihm zu Hilfe. Sie winkte ihn näher. »Komm zu mir, Wulfnoth.«
    Der Junge trat vor sie.
    »Bruder Oswald hat recht, weißt du. Wenn dein Vater dich fragt, wo dein Bruder ist, mußt du ihm antworten. So sind die Regeln. Es ist tapfer von dir, wenn du dich schützend vor deinen Bruder stellst, aber deine Verpflichtung deinem Vater gegenüber ist größer. Das weißt du doch, oder?«
    »Ja.«
    »Also?«
    Er hob den Kopf und sah ihr in die Augen. »Ich weiß wirklich nicht, wo er ist. Aber er hat gesagt, er … er will nicht Mundschenk sein.« Was Ælfric tatsächlich gesagt hatte, war, daß er lieber Tod und Teufel und Bruder Oswald ins Auge sehen wolle, als seinen Vater und das verfluchte Normannenpack an der Tafel zu bedienen, aber selbst Wulfnoth wußte schon, daß es manchmal diplomatischer war, Gehörtes nur sinngemäß widerzugeben.
    »Ich glaube, Ælfric hat mich irgendwie mißverstanden«, murmelte Cædmon. »Es handelte sich keineswegs um eine Einladung.« Er nickte seinem Zweitältesten zu. »Es ist schon gut. Du kannst wieder verschwinden.«
    »Ich muß dir wirklich zu deinen Söhnen gratulieren, Cædmon«, spöttelte Lucien boshaft. »So diszipliniert. Sollte der Vermißte ein blonder englischer

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