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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Bengel sein, der dir wie aus dem Gesicht geschnitten ist, habe ich ihn vorhin, als wir ankamen, gesehen. Er hockte hinter deinem Viehstall und heulte sich die Augen aus.«
    Du hast der Versuchung noch nie widerstehen können, einen englischen Jungen in Schwierigkeiten zu bringen, dachte Cædmon grimmig. Als der Lehrer seiner Söhne sich erheben wollte, schüttelte er denKopf. »Nein, laß nur, Bruder Oswald. Ich kümmere mich selber darum.«
    Er wies den vierzehnjährigen Sohn eines seiner Housecarls an, dafür zu sorgen, daß die Becher an der hohen Tafel nie leer wurden, und wartete, bis das Essen vorbei war und seine höchsten Gäste, der Sheriff und seine Frau und ein paar normannische Adlige und englische Thanes aus der Nachbarschaft, sich zurückzogen. Erst als nur noch Onkel Athelstan und die anderen hartnäckigen Trinker auf den Bänken saßen und alle anderen schon die Tische beiseite räumten und ihre Decken herbeiholten, entschuldigte Cædmon sich bei seiner Frau und machte sich auf die Suche nach Ælfric.
    Obwohl es für die Kinder längst Zeit war zu schlafen, war sein Ältester nicht in der Kammer, die er mit Wulfnoth und den Söhnen der Housecarls teilte. Also ging Cædmon hinaus in den Hof und fand ihn tatsächlich hinter dem Viehstall, genau wie Lucien gesagt hatte. Die Nacht war klar, der Mond fast voll, es war nicht dunkel. Ælfric saß mit dem Rücken an die Stallwand gelehnt und hatte die Stirn auf die angewinkelten Knie gelegt.
    »Ælfric …«
    Der Kopf ruckte hoch. »Oh, Mist! Ich dachte, ich hätte wenigstens bis morgen früh Schonfrist.«
    »Steh gefälligst auf, wenn ich mit dir rede!«
    Ælfric kam langsam auf die Füße und trat vor ihn. Er sah seinem Vater unverwandt in die Augen. Herausfordernd, schien es Cædmon.
    »Was ist dir nur eingefallen? Du kannst dich doch nicht einfach weigern, wenn ich dir etwas auftrage. Was für ein Benehmen ist denn das?« »Ich … wollte einfach nicht.«
    »Es ist vollkommen ohne Belang, ob du wolltest oder nicht! Du hast mich vor meinen Gästen blamiert, du verdammter kleiner …«
    »Bastard?«
    Cædmon hob die Hand im Affekt, zögerte dann und ließ sie wieder sinken. Plötzlich fiel ihm der Abend vor fast genau sechzehn Jahren ein, als er vor seinem Vater im Obstgarten gestanden hatte, genau wie Ælfric jetzt vor ihm stand. Wie konntest du mich so bloßstellen, Cædmon ? Es war eine Aprilnacht gewesen wie diese, nur lauer. Und er erinnerte sich genau an die Bitterkeit, die Verzweiflung, die er empfunden hatte, als er erkannte, daß sein Vater ihn fortschickte, weil er einen Makel hatte, weil er der minderwertigste seiner Söhne war. Heute dachte ermanchmal, daß die Gründe seines Vater womöglich völlig andere gewesen waren, doch jedenfalls hatte der Thane es nicht verstanden, die Zweifel seines Sohnes zu zerstreuen, und Cædmon hatte Jahre gebraucht, um diesen Kummer und seinen Zorn zu überwinden und seinen eigenen Wert zu erkennen. Und Ælfric war erst elf, drei Jahre jünger als Cædmon damals.
    Statt ihn zu schlagen, legte er seinem Sohn die Hände auf die knochigen Schultern. »Ich werde nicht versuchen, dir weiszumachen, es habe sich für dich nichts geändert durch Richards Geburt, Ælfric. Aber er ist dein Bruder. Man kann überhaupt nicht genug Brüder haben. Es wäre auch für dich ein Grund zum Feiern gewesen.«
    »Ich hätte wirklich nichts gegen eine Schwester gehabt«, antwortete der Junge erstickt. »Aber jetzt werde ich niemals Thane of Helmsby werden.«
    »Nein, vermutlich nicht. Und ich kann verstehen, daß du enttäuscht bist. Aber du bist und bleibst mein Sohn, genau wie Wulfnoth, und wenn ich sterbe, werdet ihr nicht mit leeren Händen dastehen, das verspreche ich dir. Euch soll es nicht so ergehen wie Onkel Athelstan. Und noch etwas solltest du bedenken, Ælfric: England ist im Umbruch. Nichts ist mehr so, wie es früher war. Wenn du es richtig anstellst, kannst du dir mehr Land verdienen, als ich je besessen habe. Wenn du dem König oder seinem Nachfolger treu dienst mit all deinen Kräften. Es liegt ganz bei dir.«
    Ælfric senkte den Kopf und fuhr sich verstohlen mit dem Ärmel über die Augen. »Ich kann nicht«, sagte er tonlos. »Die Normannen sind so seltsam. So fremd. Sie machen mir angst.«
    »Ich wußte gar nicht, daß irgend etwas dir angst machen kann. Also wieso ausgerechnet die Normannen? Sie sind Menschen wie wir. Was ist mit Aliesa? Ist sie nicht immer gut zu dir? Ich glaube, du weißt überhaupt nicht, welch

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