Das zweite Königreich
umrunden, und spritzte kleine Schlammfontänen auf. Cædmon sah ihr ins Gesicht, schloß für einen Moment die Augen und dankte Gott.
»Hyld …«
Sie fiel ihm um den Hals. »Es ist ein Junge, Cædmon. Ich frage mich, warum in dieser Familie nie jemand ein Mädchen bekommt, aber er ist wunderbar. Komm. Komm schon!«
Achtlos warf er die Handvoll Stroh zu Boden, nahm ihren Arm und ließ sich durch den unablässigen Regen zurück zur Brücke ziehen. »Und Aliesa?«
»Sei unbesorgt. Es war scheußlich, aber es geht ihr gut. Ich hatte Angst um sie, das gebe ich zu. Aber sie hat es viel besser durchgestanden, als ich gedacht hätte. Und jetzt behauptet sie, das sei letztlich eine reine Willensfrage …«
Jeder, der ihm in der Halle begegnete, wollte ihm gratulieren, doch Cædmon hatte ihnen nicht mehr als ein Nicken und ein fahriges Lächeln zu bieten, ehe er die Treppe hinaufstürmte – immer zwei Stufen auf einmal – und die Tür zu ihrer Schlafkammer aufstieß.
Aliesa wirkte nicht zerzaust und abgekämpft, wie er erwartet hatte. Die Schatten unter ihren Augen waren der einzige Hinweis auf den Kampf, den sie hinter sich hatte. Ihr Haar war gekämmt und geflochten, ihr Hemd ebenso frisch wie die Laken auf dem Bett. Sie sah aus wie immer. »Hier.« Lächelnd streckte sie ihm das winzige Bündel entgegen, das sie in den Armen hielt. »Hyld meint, er sei ziemlich gut gelungen.«
Cædmon kniete sich neben sie und schloß sie vorsichtig mitsamt dem Kind in die Arme. Dann nahm er es ihr ab, hielt es ungeschickt in beiden Händen und betrachtete es eingehend. Seinem Sohn war die Anstrengung der vergangenen Stunden wesentlich deutlicher anzusehen als der Mutter, stellte er fest. Das kleine Gesicht war verquollen und krebsrot.
Ist Ælfric auch so winzig gewesen, fragte er sich ungläubig. Die Hände, die Finger wirklich genauso klitzeklein?
»Er ist perfekt«, sagte er heiser, räusperte sich entschlossen und küßte behutsam die kleine, rote Stirn. »Und er sieht aus wie du.«
Aliesa nahm ihn ihm mit einem stolzen Lächeln ab, bettete seinen Kopf an ihre Brust, obwohl er fest schlief, und bemerkte: »Das ist ein zweifelhaftes Kompliment, Cædmon.«
Er lachte. »Aber seine Haare sind pechschwarz.«
»Ja, ich hab’s gesehen.« Sie fuhr staunend mit dem Daumen über den dunklen Flaum. Dann hob sie den Kopf. »Wir können ihn unmöglich Etienne nennen, Cædmon.«
»Nein, ich weiß«, stimmte er bedauernd zu.
»Möchtest du, daß er einen englischen Namen bekommt?« fragte sie. Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte, wenn du keine Einwände hast, nennen wir ihn Richard.«
Sie sann darüber nach. Sie hatte sich in den letzten Wochen häufig mit dieser schwierigen Frage befaßt, aber sie hatten noch keinmal darüber gesprochen, weil es Unglück brachte, vor der Geburt über den Nameneines Kindes zu reden. Auch sie hatte schon an den Namen des toten Prinzen gedacht.
»Einverstanden. Es ist ein guter Name.«
Das fand Cædmon auch.
Sie nahm seine Hand und lehnte den Kopf an seine Schulter. »Wenn du sicher bist, daß dich nicht jedesmal Trauer überkommt, wenn du den Namen deines Sohnes hörst.«
Er schüttelte den Kopf. Er brauchte den Namen nicht zu hören, um an den Prinzen erinnert zu werden; es verging ohnehin kein Tag, da er nicht an ihn dachte. »Nein, ich fände es tröstlich, wenn wenigstens sein Name und dadurch auch sein Andenken in unserem Sohn weiterlebt.«
»Gut. Dann schick nach Bruder Oswald und nach Alfred.«
Es war schon lange vereinbart, daß Alfred der Pate sein sollte, wenn das Kind ein Junge wurde, und Bruder Oswald hatte sich nur zu gerne bereit erklärt, es zu taufen. Es war üblich, ein neues Menschenkind gleich nach der Geburt zu taufen, denn wenn es starb, ehe es durch das Sakrament von der Erbsünde reingewaschen wurde, war das Heil seiner unschuldigen Seele ungewiß. Also entführte Cædmon Aliesa ihren Sohn für eine halbe Stunde, und die drei Männer trugen ihn warm eingepackt im Schneckentempo und mit so übertriebener Vorsicht zur Kirche im Dorf, daß jeder schmunzeln mußte, der sie sah. Die Leute von Helmsby, die wegen des schauderhaften Wetters nicht auf ihre Felder hinausgegangen waren, strömten in St. Wulfstan zusammen, um das freudige Ereignis mitzuerleben, und Cædmon war über die vielen herzlichen Glückwünsche gerührt. Doch als Bruder Oswald das Neugeborene zum erstenmal ins eisige Wasser des Taufbeckens tauchte, wachte Richard auf und stimmte ein empörtes Gebrüll an,
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