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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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»Ich beobachte euch.«
    Cædmon nickte. Die Vorstellung war ihm nicht besonders angenehm, aber er konnte sich vorstellen, wie grauenhaft lang und eintönig Wulfnoths Tage jetzt waren, und er fühlte sich dafür verantwortlich. »Was wird Earl Harold nur sagen, wenn er hört, was ich dir eingebrockt habe.«
    »Oh, ich bin sicher, er wird allerhand zu sagen haben. Aber zu mir, nicht zu dir. Ich bin alt genug, um dein Vater zu sein, Cædmon, ich trage die Verantwortung allein. Und falls es dich beruhigt, der Tag war seinen Preis wert.«
    Der Junge lächelte befreit. »Gut. Das fand ich auch.«
    »Und jetzt sag mir, hast du deine Angebetete wiedergesehen?«
    Der plötzliche Themenwechsel traf Cædmon unvorbereitet. Er schlug den Blick nieder und rieb sich das Kinn an der Schulter. Nur Wulfnoth hatte er sich anvertrauen können, denn die Empfindungen, die Aliesa de Ponthieu in ihm ausgelöst hatte, standen in keinerlei Bezug zu den meist recht anschaulichen und manchmal auch derben Diskussionen seiner Kameraden. Er fühlte sich eigentümlich schwach und schutzlos, wenn er an sie dachte, wie eine Schnecke, der man ihr Haus genommen hatte, und darum hütete er sein Geheimnis sorgsam. Aber bei Wulfnoth war es etwas anderes. Cædmon hätte nicht sagen können, warum,aber die Vertrautheit, die sie verband, wenn sie zusammen musizierten, machte Schneckenhäuser überflüssig.
    »Nein, nur ein paarmal aus der Ferne, wenn sie mit den Töchtern des Herzogs in den Garten ging.«
    »Hat sie dich angelächelt?«
    »Ja, aber nur ein bißchen. Und nur, wenn ihr Blick zufällig in meine Richtung glitt.«
    »Das ist es, was du glauben sollst«, sagte Wulfnoth trocken.
    Aber Cædmon schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich. Und sie sieht immer gleich wieder weg. Wahrscheinlich hat ihr Bruder ihr wer weiß was angedroht, wenn sie je ein Wort mit mir spricht.«
    »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Er würde ihr niemals Vorschriften machen. Er vergöttert sie, und er schaut zu ihr auf.«
    »Trotzdem. Wenn er wüßte, daß ich sie getroffen habe, würde er mich vermutlich mit bloßen Händen erwürgen.« Er stand rastlos von seinem Schemel auf und lehnte sich neben dem Fenster an die Wand. »Vielleicht ist es besser so. Wenn wir heimfahren, sehe ich sie nie wieder. Ich muß sie mir aus dem Kopf schlagen.«
    »Nur leider hört die Liebe nie auf die Stimme der Vernunft«, bemerkte Wulfnoth. Er spottete nicht. Er spürte, daß dieses Thema für den Jungen sehr heikel war, und er wollte sich sein Vertrauen nicht verscherzen.
    Cædmon betrachtete ihn versonnen und fragte sich, was Wulfnoth wohl über solche Angelegenheiten wußte. Er konnte nicht viel älter gewesen sein als Cædmon jetzt, als er an den Hof des Herzogs gekommen war. Ob es hier in Rouen eine Frau gab?
    »Worüber grübelst du nach, Cædmon?«
    »Über dich.«
    Wulfnoth lächelte geheimnisvoll und strich mit einem Finger über die Saiten der Laute. Sie gaben einen seufzenden Ton von sich, wie Weidenblätter im Wind. »Nun, es gibt durchaus Frauen, die das Schicksal eines armen Verbannten nicht unberührt läßt, weißt du.«
    »Ja, darauf wette ich«, erwiderte Cædmon lachend.
    Wulfnoth warf ihm einen kurzen Blick zu. »Aber ich denke, mehr will ich darüber nicht sagen. Wie du selber schon so weise erkannt hast, ist es ratsam, in diesen Dingen diskret zu sein. Das gilt in besonderem Maße, wenn die fragliche Dame verheiratet ist.«
    »Wulfnoth!« rief Cædmon erschrocken aus. »Du riskierst Kopf und Kragen.«
    »O ja. Und das würdest du auch tun, glaub mir.«
    »Aber …«
    Cædmons Einwand ging in einem schmetternden Trompetenstoß unter. Der Junge fuhr zum Fenster herum. »Oh, Gott sei gepriesen, da sind sie, Wulfnoth! Herzog William, dein Bruder, die Housecarls … Und da ist Bruder Oswald!«
    Wulfnoth trat zu ihm und sah in den Hof hinunter, in den der Herzog an der Spitze seiner Truppen eingeritten war. Harold of Wessex war an seiner Seite, und er trug einen normannischen Kettenpanzer und Helm, erkannte Cædmon verwundert.
    »Sieh an«, murmelte Wulfnoth. »Mein ruhmreicher Bruder muß sich wieder einmal tapfer bewährt haben. William hat ihn zu einem seiner Ritter geschlagen.«
    Cædmon riß entsetzt die Augen auf. »Du willst sagen, Herzog William habe die Hand gegen den Earl of Wessex erhoben?«
    Wulfnoth sah ihn einen Moment verdattert an und lachte dann. »Nein, nein. Er hat ihn als Ritter in seinen Dienst genommen. Dem geht ein feierliches Ritual voraus, wobei

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