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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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zu. »Das ist er ohne Zweifel.« »Dieses Kloster St. Michel ist wohl das größte Wunder, das Menschen je zur Ehre Gottes erschaffen haben«, fuhr Bruder Oswald fort. »Ich kann immer noch nicht richtig glauben, was meine Augen gesehen haben.« Mit der Erinnerung überkam ihn anscheinend eine Art Verzückung, jedenfalls richtete sein Blick sich nach innen, und er schwieg eine Weile. Dann kehrte er in die Gegenwart und nach Rouen zurück. »Von dort ging es weiter nach Bayeux, wo der Halbbruder des Herzogs uns auf das herzlichste in seinem Bischofspalast empfing. Und da blieben wir, und William und Harold besprachen zum erstenmal ausführlich die Frage, was geschehen soll, wenn unser heiliger König Edward in die Welt berufen wird, in die er gehört.«
    »Und?« drängte Cædmon. »Was haben sie gesagt?«
    »Er darf es nicht wiederholen, Cædmon«, rügte Wulfnoth nachsichtig. »Sicher haben sie ihn Geheimhaltung schwören lassen.«
    »Nun, zumindest kann ich wiederholen, was sie vor Zeugen gesagt haben«, entschied Oswald nach einem kurzen Zögern. »Euer Bruder, Wulfnoth, wird die älteste Tochter des Herzogs heiraten, sobald das Mädchen alt genug ist. Dann hielten sie eine sehr feierliche Zeremonie ab, der auch der Bischof beiwohnte. Harold trat in Williams Dienst und schwor ihm Gefolgschaft. Und schließlich leistete er einen höchst heiligenEid, Williams Thronanspruch zu unterstützen. William legte größten Wert auf diesen Schwur, er hieß Earl Harold jede Hand auf einen Reliquienschrein legen. Und Harold tat es ohne zu zögern und schwor. Nur als er anschließend erfuhr, wessen Gebeine es waren, auf die er geschworen hatte, da wurde er … ein bißchen blaß um die Nase, würde ich sagen.«
    »Wer waren die Heiligen?« wollte Wulfnoth wissen.
    »Willibrord und Bonifaz.«
    »Wer sind sie?« fragte Cædmon.
    Oswald verzog schmerzlich das Gesicht. »Wirklich, Junge, manchmal könnte man glauben, du seist unter Heiden aufgewachsen.«
    »Ich weiß. Unser Priester in Helmsby kann nicht mal vernünftig lesen. Er hat uns nicht viel über Heilige beigebracht.«
    »Armes Kind. Ich hoffe, er hat dich wenigstens rechtmäßig getauft.« Cædmon merkte, daß Bruder Oswald ihn auf den Arm nahm. Er grinste. »Das hoffe ich auch. Also, warum war Harold so erschrocken?« »Sie waren zwei der größten englischen Heiligen, die auf den Kontinent zogen und die Friesen und die Franken missionierten. Alle anständigen Christenmenschen in England verehren sie mit größter Hingabe.«
    Cædmon ging auf die Spitze nicht ein. »Na und? Was spielt es für eine Rolle, auf wessen Gebeine er schwört, es sei denn, er …« Er brach abrupt ab. Dann sah er unsicher von Oswald zu Wulfnoth und wieder zurück. »Ich glaube, das verstehe ich nicht richtig.«
    »Da bist du nicht der einzige«, antwortete Oswald. »Herzog William jedenfalls verstand es auch nicht so recht. Er verlangte zusätzliche Garantien. Und seither ist die Stimmung ein wenig abgekühlt.«
    Wulfnoth hatte sich abgewandt und den Kopf in den Händen vergraben. »Er wird mich wieder hierlassen«, hörten sie ihn heiser flüstern. »O mein Gott, er wird mich wieder hier zurücklassen …«
    Oswald trat zu ihm, hob die Hand, um sie ihm auf die Schulter zu legen, und ließ sie wieder sinken. »Noch ist nichts entschieden.«
    Wulfnoth gab einen Laut von sich, der halb verächtlich, halb wie ein Schluchzen klang.
     
    In der Halle war es ungewöhnlich voll, und der große, hohe Saal wurde von zahllosen Fackeln und Kerzen erhellt. Spielleute saßen oder standen mit ihren Instrumenten unter den Säulen und versuchten mitwechselhaftem Erfolg, das Stimmengewirr zu übertönen. Weder Hunde noch Kinder durften heute im Stroh am Boden herumtoben. Die einen waren aus der Halle verbannt, die anderen saßen unter strenger Aufsicht an den Tischen.
    An der hohen Tafel saß Herzog William auf seinem Thronsessel, die Herzogin an seiner linken, Harold of Wessex an seiner rechten Seite. Neben dem Earl saß fitz Osbern. Die sonst meist säuerliche Miene des Seneschalls zeigte jetzt ein leises Unbehagen, was vermutlich daher rührte, daß er Verständigungsprobleme mit seinem Tischnachbarn hatte. Der zwölfjährige Robert und seine beiden jüngeren Brüder, Richard und William, die Söhne des Herzogs, saßen neben ihrer Mutter, die Töchter waren nicht anwesend.
    Oswald führte Wulfnoth und Cædmon in das Innere des Hufeisens, das die Tische bildeten, und vor der hohen Tafel blieben sie stehen und

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