Das zweite Königreich
der Herzog den Auserwählten mit dem Schwert auf der Schulter berührt. Es ist eine hohe Auszeichnung für Männer von Rang oder eine Belohnung für besonders große Tapferkeit. In diesem Fall, könnte ich mir allerdings vorstellen, ist es vor allem ein Druckmittel …«
»Also das verstehe ich nun überhaupt nicht.«
Wulfnoth winkte ab. »Da, siehst du, William hat Harold eine Rüstung geschenkt.« Der Kettenpanzer, den Harold trug, war länger als die in England gebräuchlichen und vorn und hinten geschlitzt, damit man bequem darin reiten konnte. »Sieh nur, wie fein die Ringe sind, sie bewegen sich fast wie Stoff. Aber undurchdringlich. Und da, siehst du das Fähnchen, das Harold an der Lanze trägt?«
»Gelber Löwe auf rotem Grund«, murmelte Cædmon verblüfft. »Herzog Williams Wappen.«
»Ja.«
»Was hat das zu bedeuten?«
»Es bedeutet, daß Harold in Williams Dienst getreten ist. Zumindest symbolisch ist Harold jetzt sein Mann. Weißt du, William ist ein verdammt gerissener Bastard, wenn du mir die Formulierung verzeihen willst.«
Cædmon sah Herzogin Matilda mit ihren Söhnen den Hof überqueren.Gemessenen Schrittes trat sie auf ihren Gemahl zu und wartete in gebührlicher Entfernung, während William absaß und mit fitz Osbern, seinem Vetter und Seneschall, sprach.
»Wieso gerissen?«
»Nun, er hat Harold eine sehr große Ehre erwiesen, die mein Bruder natürlich nicht ablehnen konnte. Aber gleichzeitig hat er sich ihn verpflichtet. Jetzt muß Harold Williams Anspruch vertreten, sonst verliert er seine Ehre, verstehst du, und die ist ihm enorm kostbar. Weitaus kostbarer als ein Bruder, zum Beispiel. Ich glaube, William macht wirklich ernst. Er will die englische Krone.«
Und er hatte noch weitaus mehr getan, um seinen Anspruch zu sichern, erfuhren sie später von Bruder Oswald, der gekommen war, um ihnen auszurichten, daß sie beide zum Festmahl in der Halle erwartet wurden. »Was hat das zu bedeuten?« raunte Cædmon Wulfnoth unbehaglich zu. »Will William alle englischen Gäste an seinem Hof ehren oder uns armen Sündern die Hölle heiß machen?«
Wulfnoth hob kurz die Schultern. »Denk nach, Dummkopf. Wie lautet die normannische Antwort auf deine Frage?«
Cædmon nickte und grinste wider Willen. »Beides, natürlich.«
»Beides, natürlich«, bestätigte Wulfnoth.
»Wovon redet ihr?« fragte der Mönch neugierig.
Aber Wulfnoth winkte ab. »Erst seid Ihr an der Reihe, Bruder. Erzählt uns alles, was Ihr erlebt habt, es macht nichts, wenn Ihr ein bißchen übertreibt, was die Ruhmestaten meines Bruders angeht. Cædmon und ich dürsten nach Geschichten von englischen Helden.«
Oswald sah aufmerksam von einem zum anderen und erkannte die Veränderungen, die sich an seinen beiden Landsleuten vollzogen hatten, seit er sich vor zwei Monaten von ihnen verabschiedet hatte. Wulfnoth war äußerlich zynischer geworden, aber in Wahrheit sehr viel weniger verbittert und schwermütig als zuvor, er wirkte beinah heiter. Doch noch mehr verwunderte ihn Cædmons Verwandlung. Der Junge hatte einen ordentlichen Schuß getan, geradezu beängstigend breite Schultern entwickelt und wirkte trotz seines hinkenden Ganges behende. Die kränkliche Blässe hatte sein Gesicht verlassen, dafür hatte sich ein gehetzter Ausdruck in seine Augen geschlichen, den Oswald ausgesprochen beunruhigend fand. Doch er behielt seine Gedanken für sich und stellte ihnen keine Fragen, sondern erfüllteihre Bitte und erzählte. Von ihrem eiligen Ritt nach Dol, das Conan schon fluchtartig verlassen hatte, sobald er von ihrem Anrücken hörte. Sie hatten ihn weiter nach Dinan, einer Festung unweit von Rennes, verfolgt, wo Conan sich verschanzte. Doch schließlich war Williams Belagerung erfolgreich gewesen. Die Normannen hatten die Palisaden niedergebrannt und das Tor genommen. Conan hatte kapituliert.
»Er hat Williams Bedingungen ausnahmslos akzeptieren müssen, und damit, haben die Normannen mir versichert, hat William den letzten seiner Feinde besiegt.«
Wulfnoth schnaubte. »William wird Feinde haben, bis er seinen letzten Atem aushaucht. Ohne Feinde ist er nicht glücklich.«
Oswald nickte. »Mag sein. Wir zogen jedenfalls weiter nach Mont St. Michel, und Euer Bruder rettete mehrere Männer des Herzogs aus dem tückischen Treibsand, der die Flußmündung nahe der Felseninsel so gefährlich macht. Er hat sein Leben riskiert, und das ist nicht übertrieben. Ein sehr tapferer Mann.«
»O ja«, stimmte Wulfnoth vorbehaltlos
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