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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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die sich unterhalb des runden, vorn geschlitzten Halsausschnitts abzeichnete. Die Haare hingen ihr in glänzenden Flechten bis auf die Hüften, und als sie den Kopf neigte, schwangen sie wie ein dichter Schleier mit.
    Cædmon fand die Sprache wieder. »Laßt mich Euren Korb tragen.« Sie reichte ihm den leeren Weidenkorb mit einem bezaubernden, kleinen Knicks. »Das ist sehr freundlich. Ich wollte ein paar Rosen holen.« Nebeneinander gingen sie zur Treppe, doch nach wenigen Schritten blieb Aliesa stehen. »Ihr habt Euch doch verletzt. Ihr hinkt ja.«
    Cædmon schüttelte den Kopf. »Das tu’ ich immer, Madame.«
    »Oh …«, sagte sie leise. »Jetzt weiß ich, wer Ihr seid.«
    Cædmon fürchtete, sie werde ihm den Korb aus den Händen reißen und ihn mit ein paar scharfen Worten davonjagen. Aber sie ging weiterneben ihm her, ihre Miene eher bekümmert als zornig, und sie sprachen nicht mehr, bis sie in den kleinen Garten hinter der Kapelle kamen, der auf den Wunsch der Herzogin dort angelegt worden war. Rosen kletterten die Rückwand des kleinen Gotteshauses hinauf und standen in üppigen Sträuchern auf dem Rasen.
    Aliesa nahm ein kurzes Messer von ihrem Gürtel und sah über die Schulter. Nur ein kleiner Ausschnitt des Hofes war von hier aus einsehbar. »Vermutlich wäre es nicht gut, wenn man uns hier zusammen sieht«, murmelte sie.
    Cædmon hielt ihr den Korb hin, und die erste, langstielige Blume wanderte hinein. »Nein. Ich kann durchaus verstehen, wenn Ihr nichts mit mir zu schaffen haben wollt.«
    Sie warf ihm unter halbgeschlossenen Lidern hervor einen rätselhaften Blick zu. »Das meinte ich nicht. Ich dachte eher an meinen Ruf.« Sie lachte leise vor sich hin. Es war kein mädchenhaftes Kichern, sondern ein sanfter, wohlklingender Laut, und Cædmon spürte voller Verwirrung, wie sein Glied sich regte. Er lief schon wieder rot an und wandte hastig den Kopf ab.
    »Ich kann den Zorn meines Bruders auf Euch nicht teilen, wißt Ihr«, fuhr sie fort. »Es war nicht recht von meinem Vater, den englischen Earl und sein Gefolge festzusetzen. Ihr wart Schiffbrüchige und hättet Anrecht auf seine Hilfe gehabt. Wäre die Situation umgekehrt gewesen, hätte ich das gleiche getan wie Ihr. Um ehrlich zu sein, ich habe Eure Tat bewundert. Und Lucien hat sein Pferd zurückbekommen. Wozu also der Groll?«
    Sie weiß noch nicht, was gestern passiert ist, ging ihm auf. »Um es mit Euren Worten auszudrücken, Madame, wäre die Situation umgekehrt gewesen, wäre mein Zorn auf ihn sicher ebenso groß.«
    »Ja, zweifellos. Und weil ihr Männer so seid, zieht ihr fortwährend in den Krieg und macht uns Frauen zu Witwen und unsere Kinder zu Waisen, nur für eure Eitelkeit.«
    Cædmon war sprachlos. So etwas Merkwürdiges hatte er noch nie gehört. Er dachte darüber nach und schüttelte schließlich den Kopf. »Ich denke, die meisten Kriege werden geführt, um das Land gegen Feinde zu verteidigen. Das Land, das auch die Frauen und Kinder ernährt.« »Das ist genau die Ausrede, mit der ihr euren liebsten Zeitvertreib rechtfertigt. Und dabei vergeßt ihr, daß Gott gesagt hat, ›Du sollst nicht töten‹. Darum ist Krieg Gott nicht gefällig, ihr alle lebt also inSünde. Was, denkt Ihr, wird aus den Seelen derer, die fallen, ohne zuvor Gelegenheit zur Beichte zu finden?«
    Cædmon hob abwehrend die Hände. »Ich weiß es nicht. Was Ihr sagt, verwirrt mich. Ich muß darüber nachdenken, ich bin sicher, es gibt eine kluge Antwort, die Euch widerlegt, aber natürlich fällt sie mir jetzt nicht ein. Wie kommt Ihr auf solche Gedanken?«
    »Ich habe etwas in einem Buch darüber gelesen.«
    Er starrte sie schon wieder an. »Ihr könnt lesen ?«
    Sie nickte und schnitt eine weitere Rose. Der Korb war schon zur Hälfte gefüllt. »Ich war ein paar Jahre in Caen im Kloster.« Und sie wäre für ihr Leben gerne dort geblieben, denn es war der einzige Ort der Welt, wo es einer Frau erlaubt war, ihren Kopf zu gebrauchen. Aber sie war viel zu gut erzogen, um einen so ungehörigen Gedanken zu äußern. »Kann Euer Bruder etwa auch lesen?« fragte er weiter.
    »Natürlich nicht«, gab sie lachend zurück. »Das ist nur etwas für Mädchen und fromme Männer.«
    Er nickte. »Dann ist wenigstens das in diesem seltsamen Land genauso wie bei mir zu Hause.«
    Sie betrachtete ihn einen Moment neugierig. »Ist Euer England sehr anders?«
    Er hob die Schultern. »Die Landschaft unterscheidet sich nicht so sehr von dieser hier. Grüne Hügel, große

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