Das zweite Vaterland
freien Platzes davor, schlichen sich alle, Fritz, Franz und Harry Gould voran, unter den Bäumen der Allee hin und erreichten unbehelligt das Ufer.
Dieses war noch ebenso verlassen, wie zwei Stunden vorher.
Schon hatte die Fluth das Boot, das nun an seiner Leine schaukelte, aufgerichtet. Es galt nur noch einzusteigen, es loszubinden und dann in die Strömung zu treiben.
Sofort nahmen Jenny, Doll, Suzan und das Kind im Hintertheile der Pirogue Platz. Die anderen drängten sich auf den Bänken zusammen und Fritz und Franz ergriffen die Pagaien.
Es war jetzt gegen zehn Uhr, und bei der mondlosen Nacht zu erwarten, daß die Ueberfahrt unbemerkt verlaufen werde. Trotz der tiefen Finsterniß, konnte es natürlich nicht schwer fallen, nach der Insel zu steuern.
Sobald die Pirogue in die Strömung gekommen war, wurde sie schon nach der richtigen Seite hingezogen.
Alle verhielten sich still. Kein Wort wurde, nicht einmal flüsternd, gewechselt. Alle standen unter dem Drucke einer außerordentlichen Erregung. Daß die Familien Zermatt und Wolston sich auf dem Eilande befanden, unterlag ja keinem Zweifel; doch wenn nun einer gefangen genommen worden oder bei seiner Vertheidigung gar umgekommen war…
Auf den Fluthstrom allein war nun nicht zu rechnen, um geraden Weges nach der Haifischinsel zu gelangen. Eine halbe Lieue von deren Ufer wendete dieser sich nach der Mündung des Schakalbaches zu und verlief von hier nach dem Hintergrunde der Rettungsbucht.
Fritz und Franz ruderten also mit allen Kräften auf das dunkle Gehölz zu, aus dem kein Laut, kein Lichtschimmer hervordrang.
Jedenfalls befand sich aber der ältere Zermatt oder Herr Wolston, Jack oder Ernst auf Wache bei der Batterie, und wenn die Pirogue von da aus bemerkt wurde, lief sie Gefahr, eine Kugel zu bekommen, denn der oder die Wachthabenden mußten annehmen, es handle sich um einen Versuch der Wilden, die Insel unter dem Schutze der Nacht zu überfallen.
Wirklich flammte, als das Fahrzeug nur noch fünf bis sechs Kabellängen vom Ufer entfernt war, ein Licht an der Stelle auf, wo sich die Batterie unter ihrem Schutzdache befand. Wurde damit ein Zünder in Brand gesetzt und sollte die Luft wieder durch den Donner eines Geschützes erschüttert werden?
Da sprang der Bootsmann, überzeugt, sich vernehmbar machen zu können, in die Höhe und rief mit Stentorstimme:
»Schießt nicht!… Schießt nicht!…
– Es kommen Freunde! setzte der Kapitän Harry Gould hinzu.
– Wir sind es… wir… wir!« wiederholten Fritz und Franz.
Und als sie den Fuß auf die ersten Felsen setzten, empfingen der Vater Zermatt, Herr Wolston, Ernst und Jack die Langersehnten in ihren Armen.
Dreißigstes Capitel.
Endlich vereint! – Ein gedrängter Bericht über alle Ereignisse seit der Abfahrt der »Licorne«. – Die Familien in ihrem Kummer. – Keine Hoffnung mehr. – Das Auftauchen der Piroguen.
Nach wenigen Minuten waren – jetzt vollzählig – die beiden Familien. der Kapitän Harry Gould und John Block in dem Vorrathshause in der Mitte des Eilandes versammelt… hundert Schritte von dem kleinen Batteriehügel, über dem die Flagge der Neuen Schweiz wehte.
Eine Schilderung der Scene des Wiedersehens zu geben, zu beschreiben, wie das Zermatt’sche Elternpaar Fritz, Franz und Jenny stürmisch ans Herz drückte, wie James, Doll, Suzan und Bob sich den Umarmungen des Herrn und der Frau Wolston kaum zu entwinden vermochten, und wie diese alle dem wackeren Kapitän Gould und dem Obersteuermanne die Hände drückten – das mit Worten auszudrücken, was nur ein Gemisch von Jubelrufen, Thränen und Liebkosungen war, wäre doch unmöglich, und deshalb wollen wir es lieber gar nicht erst versuchen.
Als sich dann die erste Aufregung etwas beruhigt hatte, ging es kurze Zeit an ein eifriges Erzählen der Geschichte der fünfzehn Monate seit dem Tage, wo die »Licorne«, die Jenny Montrose, Fritz, Franz und Doll hinwegführte, hinter den letzten Anhöhen des Caps der Getäuschten Hoffnung verschwunden war.
Doch bevor man auf die Ereignisse der Vergangenheit eingehender zurückkommen konnte, mußte man der Gegenwart gerecht werden.
Obwohl die beiden Familien jetzt wieder vollzählig beisammen waren, befanden sie sich doch in einer recht ernsten, recht bedrohten Lage. Die Wilden mußten sich dieses Eilandes schließlich doch bemächtigen, wenn es an Munition oder an Mundvorrath zu mangeln begann. Auf irgend eine Hilfe von außen war ja nicht zu rechnen.
Mit kurzen Worten
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