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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Zoderer
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einer Reihe kahler Platanen auf dem von Löchern übersäten Parkplatz, der auf der einen Seite vom Meer und auf der anderen von einem aufgelassenen Bahnhof begrenzt wird. Ich habe in der Rocktasche nach Telefonmünzen gesucht, habe sie mit den Fingern abgegriffen und mehrmals gezählt, ich hätte dir, Livia, gerne gesagt, daß ich tatsächlich nie und bei niemandem das Kaltwerden so nah gespürt habe wie an deiner Haut, natürlich auch die Wärme, aber nur auf der Innenseite, du hättest gelacht und lachend mich verbessert, statt Innenseite wäre dir wohl Innigkeit lieber gewesen.
    Der Schrecken macht dich also neugierig?
    Alles ist schön.
    Sag das nochmal, sag es nochmal,
    schrien sie alle jäh auf.
    Laßt mich gehen.
    Da hielt ihm einer die Lederfaust
    unters Gesicht: Rede!
    Wo ist das Kind auf dem Pferd? fragte er.
    Hinter dem Parkplatz ragten die Betongerippe einiger Häuser auf, standen scheinbar ohne Zusammenhang im Wind, vor dem sich Lukas hinter den Scheiben der Telefonkabine schützte. Eigentlich hätte ich mich auf das Geleise des verrotteten Bahnhofes legen müssen, ich hätte es versuchen können, risikolos, aber er lehnte sich nicht einmal mit einer Schulter an die Außenseite der Bahnhofsmauer. Er begnügte sich, über die kleinen, zugefrorenen Pfützen zu gehen, über die höchstens knöcheltiefen Radspurlöcher, die eine dicke Eishaut angesetzt hatten, er fühlte sich so abwesend von allem anderen, daß er auf diesem großen Gelände tatsächlich ein zärtliches Gefühl für das Wasser bekam, das eingefangen war unter den Eiskrusten, er fragte sich, ob das Wasser unter der Eisschicht ruhte, ob es sich überhaupt bewegte, vielleicht einmal in der Minute unter der Eishaut bewegte, er hieb ein paarmal mit den Schuhspitzen, aber auch mit den Absätzen auf die Eisaugen ein, doch keines zerbrach, er drang nicht ein, und er erfuhr nichts, das Wasser spritzte nie auf unter seinen Tritten.
    Jenseits der Geleise, dort, wo vermutlich einmal ein Seiteneingang des Bahnhofs gewesen war, brannte trotz der frühen Nachmittagsstunde Licht: In der Gepäckaufbewahrung oder im Büro des Bahnhofsvorstehers hatten sie einen Ausschank eingerichtet, mit einem Eingang zu der windgefegten, öden Straße hin. Lukas mußte seine Brille abnehmen, um in dem dampfenden Schwall von Stimmen, Körpern und Gerüchen nicht blind gegen einen Bauch oder einen Rükken zu stoßen, langsam, sozusagen Schritt für Schritt, schob er sich zur Schank hin, fand eine Lücke zwischen gestikulierenden Männern in Arbeitsanzügen und bestellte ein großes Glas Bier. Es war ein ziemlich beengender, aber sehr hoher Raum, so hoch wie eine Bahnhofshalle, kaum fünf Tische hatten hier Platz, es war stikkig warm, das Fenster neben der Eingangstür nahm kaum die Hälfte der Wand ein, man konnte sich schwerlich über die Köpfe und Schreie hinweg durch dieses Aquariumfenster hinaus auf die viel zu breite, völlig verlassene Novemberstraße stürzen.
    Die Kellnerin, die ihn an die rothaarige Laura erinnerte, diese müde Person stellte ihm das Bier hin und er trank mit geschlossenen Augen, trank und hörte das Durcheinandersplittern der Stimmen dieser Flüsterer und Schreihälse, hier an diesem unbewohnten Rand des Hafens. Plötzlich verdichten sich die Schreie über einem Tisch, Lukas lehnt eingepfercht zwischen Leibern am Tresen, er kann nur einen Teil des Raums überblicken, die meisten Gesichter sind verdeckt durch andere Gesichter oder andere Körper. In der Nähe des Fensters gibt es Streit, eine dürre Stimme überschlägt sich zwischen im Zorn halb erstickten, gebellten Drohungen und jähem Verstummen. In diese Stille hinein, in der es plötzlich mehr als zuvor nach Zwiebeln, Bier und Zigarettenrauch riecht, in dieses niedergeflüsterte Schweigen hinein hört er das Klatschen von Ohrfeigen. Er hat seine Haltung an der Theke verändert, er steht nun mit dem Rücken aufrecht zum Tresen, und da sich die Leibermauer vor ihm lockert, erkennt er zuerst den Afrikaner, der vom Fenster her wie durch ein Spalier auf ihn zugeht, scheinbar ohne ihn zu erkennen, obwohl er lächelt wie nach einer gerade ausgestandenen Wut oder Gleichgültigkeit. Dann sieht er Lea und ihre Hand, die fast grauweißen langen Finger mit den durchscheinenden Nägeln vor dem halbverdeckten Gesicht, und im Spalt der

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