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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Zoderer
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Finger die zerplatzte Haut über einem Auge und das Blut, vor allem aber sieht er die noch glatte Wangenhaut, die ruhigen Lippen, über die das Blut rinnt. Er dreht sich rasch zur Theke um, er möchte nicht gesehen werden und sein Bier zahlen, die Kellnerin bemerkt seinen vorgestreckten Geldschein nicht, und der Zwerg kommt bereits aus der Ecke hinter der Kassa, wo die Toilette sein muß, hervor, biegt um den Tresen, pflanzt sich neben Lukas auf und fragt, Kaffee oder Schnaps?
    Mokka, sagt Lukas fast zu schnell und fügt deshalb hinzu: mit einem Schuß Schnaps.
    Und während sie beide wortlos Schluck um Schluck schlürfen, steht die Äthiopierin von ihrem Tisch auf und kommt auf sie zu, sie hebt eine Hand mit der fast weißen Innenfläche und legt sie Lukas auf die Schulter, mit der anderen Hand streift sie über das Gesicht des Zwerges, über die Nase, ihr Handrücken rutscht vorsichtig über den braunen geraden Nasenansatz herunter, die Fingerspitzen formen die geschwungenen Nasenflügel nach, dann greift sie nach einem Schnapsglas, schüttet sich die letzten Tropfen auf den Handrücken und verreibt sie sorgfältig auf der Haut, erst nach einer Weile drückt sie die Hand auf die blutende Haut, ihre Wangen kommen Lukas weich und gepflegt vor, sie wäre jemand, mit dem ich stumm sein könnte.
    Sie neigte sich ein wenig zu ihm herüber: Ist schon gut, sagte sie, in normalem Tonfall, ohne ein Flüstern zu versuchen, aber mit Gianna mußt du aufpassen.
    Der Afrikaner öffnete schon die Tür, Lea folgte ihm, hielt aber noch einen Moment inne und legte einen Finger auf ihren Mund, nicht auf die Stirn und nicht an die Schläfe.
    Trotzdem hätte Lukas sie jetzt auch schlagen wollen, obwohl er sich doch lieber in die Falten ihres Baumwollumhanges gekrallt hätte.
    Nein, sagte die Kellnerin, als er ihr Trinkgeld hinschob, ebensoviel Trinkgeld, wie der Preis für das Bier ausmachte, er hätte die Kellnerin gerne beleidigt, aber er ging wortlos hinaus, fast alles genügte ihm, und zugleich hatte er sich schon lange nicht mehr so lebendig gefühlt. Durch die Türschlitze pfiff der Wind, er zerrte an den Schiffstauen, und vor der großen Fensterscheibe wirbelten Staubwolken vorbei, manchmal mit einem Papier oder Nylonfetzen. Auf der Straße schlug Lukas schnell den nassen Mantelkragen hoch, die rostigen Eisenbahnschienen glänzten vom gefrierenden Regen. Die Vorstellung, ausgefragt und geschlagen zu werden, war für ihn jetzt die Vorstellung, auf der Welt zu sein. Er mußte seine Beine spreizen, sie mit seinem ganzen Körper beschweren, damit ihn nicht ein Windstoß aus dem Gleichgewicht hob.
    Mit einem Knie stößt er die Glastür auf und läßt sich nicht vom Maskengesicht des Portiers provozieren, in die aufgehaltene Hand bekommt er den Schlüssel. Im Zimmer wirft er sich auf das Bett, noch sind die Röhren des Heizungskörpers kalt, er kann das Vibrieren der Glasscheiben hören und zeitweilig das Klappern einzelner Brettchen der Fensterläden. Er öffnet das Fenster und schleudert eine Flasche über das Ziegeldach des gegenüberstehenden Hauses in den Hinterhof, wo er ein paar Zweige des Khakibaumes ausmachen kann und die roten Früchte an den blattlosen Ästen. Er knipst die Lampe über der Waschmuschel an und wäscht sein Gesicht, er drückt eine lange Mentholschlange auf die Zahnbürste und er zieht seinen Scheitel nach. In der Bar gegenüber liest Lorenzo hinter der Theke die rosarote Sportzeitung; zwischen dem Tresen und den Tischen an der Wand klafft ein dämmeriges Loch, es gibt keine Gäste, erst nach ein paar Minuten, nachdem Lorenzo ihm einen Espresso durch die Maschine gepreßt hat, hört Lukas das immer wiederkehrende Signalquieken des Videoflippers, mit abgespreizten Ellenbogen steht ein junger Spieler vor dem Guckkasten und schleudert manchmal wie auf Knopfdruck den Kopf wild hin und her. Noch später wird Lukas auf eine an der Wand sitzende Frau aufmerksam, auf Melvas fast schlafendes Gesicht, die verkniffenen Augenlider und die Hand, die mit einem halb ausgetrunkenen Glas spielt, als müßte es auf dem Rand seines Glasfußes stehen können. Er hätte sich abwenden und auf die Flaschen über Lorenzos Kopf schauen können, aber er will sich nicht wegdrehen, er freut sich, die Wahl zu haben zwischen Reden oder Stummsein, er trägt sein Glas zu Melvas Tisch und

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