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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Zoderer
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abgerieben, um einigermaßen trocken wieder in sein Sonntagshemd und in die kurze Sommerhose zurückschlüpfen zu können.
    Inzwischen hatte sich das Restaurant zu füllen begonnen, die Nebentische waren besetzt, leider, sagte Lukas, weil er sich die Leere eines Lokals mit weißgedeckten Tischen gerne als etwas Bleibendes gewünscht hätte, alle Lampen waren angezündet, sogar die auf den noch unbesetzten Tischen, der verwinkelte höhlenartige Raum ist nicht nur heller geworden, er hat auch etwas verloren, bildete sich Lukas ein, aber er dachte, vielleicht habe ich nur zu schnell getrunken, so daß mir alles näher rückt, die Menschen, die Bewegungen und die Geräusche, die mich von Gianna wegdrängen, sich zwischen uns hineindrängen.
    Ich, sagte Gianna, während sie mit den Fingern die rosablassen Panzerschuppen vom Schwanzende eines Seekrebses herunterbrach, ich, sagte sie, bin immer zu aufdringlich geliebt worden, von meinem Vater, von meiner Mutter, und von allen anderen auch.
    Lukas hätte sie jetzt gerne berührt mit seiner Hand oder nur mit den Fingerkuppen. Ihr Vater habe, erzählte sie, bis zu ihrem fünfzehnten oder sogar sechzehnten Lebensjahr ihre Kleider und Hosen in den Kaufhäusern ausgesucht, auch die Farbe des ersten Lippenstifts. Trotzdem könne sie heute über ihren Vater lachen, obwohl sie sich seinetwegen oft geschämt habe als Kind, besonders am Strand, weil er jeden Sonnenstrahl gemieden habe, mit schlappen Muskeln und weißer Haut sei er, wenn überhaupt, nur mit dem aufgepumpten Schlauch eines Autoreifens ins Wasser gegangen. Von der Mutter sei sie bei jeder Gelegenheit gekämmt oder umarmt, vor allem aber bei jedem Nachhausekommen oder beim Verlassen der Wohnung am Morgen oder am Abend mitten auf den Mund geküßt worden, noch heute versuche die Mutter sie auf den Mund zu küssen, doch heute, sagte Gianna, ist das nicht mehr schlimm, heute gefällt es mir sogar manchmal, ich presse die Lippen zusammen und lasse mich von meiner Mutter abschmatzen.
    Die Kellnerin räumte die Teller mit den ausgeschlürften Krebsgehäusen ab, auch die Salatreste, und immer wenn sie sich herüberbeugen mußte, sagte sie zu Lukas Lieber und zu Gianna meine Liebe.
    Ich nehme noch einen Schnaps und einen Espresso.
    Ja, wenn du magst, sagte Gianna und rückte den Stuhl zurück, ich gehe und mache mich frisch.
    Sie schlängelte sich zwischen den Tischen durch und verschwand hinter einem Vorhang.
    Er hörte das stumpfe schabende Geräusch einer Gabel oder eines Messers auf dem Grund eines Tellers, hörte das Aufeinanderklirren von Gläsern, die kreidig unterdrückte Stimme eines Mädchens am Tisch gegenüber, und ungewollt sah er, wie der Alte am Nebentisch den kleinen Finger einer vielleicht vierzigjährigen Frau streichelte, während sie mit der anderen Hand ein Wasserglas über die Unterlippe kippte.
    Ich könnte Johanna immer wieder erfinden, auch ihren Tod, oder wie ich sie immer wieder vergessen kann.
    Lukas schob die Teller, auch Giannas Geschirr, zur Tischmitte, er wünschte sich in diesem Augenblick, Raucher zu sein, er hätte sich gern eine lange weiße Zigarette angezündet, hätte sich gern zurückgelehnt in seinem Stuhl, die Augen geschlossen und geraucht, bis der erste Ring aus seinem Mund gekrochen wäre. Er steckte sich die blaue Plastikrose ins Knopfloch des Jacketts und ging, als die Kellnerin ihm sagte, es sei alles bezahlt. Regen hatte wieder eingesetzt, eine Böe traf ihn so, als hätte der graue Herr vom Nebentisch seine Wasserkaraffe über ihn ausgeschüttet. Schon nach wenigen Schritten rinnt ihm der Regen in den Kragen seines Trenchcoats und allmählich auch in das Hemd, er spürt die über die Haut kriechende Nässe und fühlt sich gerade so, als hätte er etwas gewonnen. In den Straßen, durch die er zum Kai hinunter zu finden versucht, bemerkt er nur selten ein Geschäft oder eine Bar, graue Fensterscheiben neben grauen Fensterscheiben, die meisten mit Vorhängen verhängt oder blind gemacht von verstaubten Rollos, einmal bleibt er stehen und liest den Menüzettel eines Restaurants, auf dem Boden des Schaukastens liegen ein paar vertrocknete Fliegen. In einem Antiquariat läßt er sich einen Bildband aus den fünfziger Jahren in festes Packpapier wickeln und schlendert mit dem verschnürten Paket unter dem Arm die Straße zum Kai

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