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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Zoderer
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hinunter.
    In der Fischhalle stellt er sich wieder in einen der offenen Eingänge und genießt die hallende Leere des mit einer gläsernen Haut überwölbten Raumes. Das Kopfsteinpflaster auf dem Platz davor ist mit Asphalt überzogen, auch die Trambahnschienen sind mit Teer ausgegossen, aber hier und da liegen Schienen und Kopfsteine wieder frei, blinkt der Stahl zwischen der Masse geparkter Autos. Lukas bleibt neben einem Zeitungskiosk stehen und hört dem Wind zu, er kann nichts denken, aber er redet sich beschwichtigend zu, ich schäme mich nicht, früher hätte ich mich geschämt. Er wäre jetzt gerne neben Gianna hergegangen, wäre gerne auch neben ihr stehengeblieben, er hätte sie zur Fischhalle begleitet, vielleicht hätten sie über die aufgebrochene Teerdecke geredet, und der Wind wäre in Giannas Perückenhaar gefahren.
    Die Fischhalle reicht bis ans Meer, eine Böe packt eine eingerollte Plane und klatscht sie an die Mauer. Er steigt auf eine Waage, die gleich hinter dem Seiteneingang in großem Abstand von Kisten und Menschen verlassen dasteht. Lukas klemmt sein schmales Buchpaket unter den Arm, er fühlt sich abgewogen und gemessen durch die Höhe der kahlen Hallenwände. In der Verkaufshalle räumen die Händler schon die Fische von den Steintischen, er achtet darauf, nicht auszuglitschen auf den nassen Fliesen, immer wieder aber tritt er in eine Pfütze, und manchmal durchfurcht er sie absichtlich mit den Stiefeln. Die Händler werfen die schuppigen Fischleichen, die nicht verkauft worden sind, in flache Körbe, schütten aus Kübeln Eiswürfel und Eisstaub darüber, mit den Händen heben sie die schlaffen Polypen hoch und lassen sie in Plastikeimer platschen. Lukas umrundet die Tische, als wäre er der Inspekteur, von da und dort ruft ihm jemand etwas zu, aber vielleicht gelten die Rufe nicht einmal ihm, vielleicht sind es irgendwelche Zoten, die nach der Konkurrenz am Vormittag nun wieder Freundschaft stiften.
    Draußen trommelte der Regen, Lukas ging an der Kante der Ufermauer entlang, schaute in die Luft, in den Regen, und achtete doch auch auf die festgemachten Seile der Boote, wenn er sich vorbeugte über den Molenrand, traf ihn der Regen hart im Nacken zwischen Hut und Mantelkragen; immer wieder mußte er den Hut festhalten, aber der Regen verstimmte ihn nicht, manchmal gab er absichtlich den Nacken frei, indem er sich länger zum Meer vornüberbeugte; nur einmal ärgerte er sich, als ihm, während er auf dem äußersten Rand der Kaimauer balancierte, ein Mann mit der Selbstsicherheit eines Hausherrn entgegenmarschierte, widerwillig machte Lukas ihm Platz, indem er sich zwischen zwei Kühlerhauben geparkter Autos klemmte, während der andere grußlos an ihm vorbeischritt und sich nicht einmal umdrehte, als Lukas ihm viel zu spät das Buchpaket nachschleuderte.
    Im Grunde könnte ich fast alles verstehen, den da, und auch Gianna, aber ich will nicht.
    Er schlenderte zum Ende der Mole hinaus. Über die Rillen der Steinquader hinweg waren mit Ölkreide Bekenntnisse, Liebesappelle, Botschaften gemalt. M ARIO LIEBT L AURA . Der Regen sprühte darüber und auch das Flutwasser des Meeres, aber die Ölkreide-Botschaften hielten sich einige Stunden lang, manche wohl auch über zwei, drei Gezeiten.
    Jetzt schlagen keine Wellen über die Mole, das Meer schwappt kaum über die unterste Treppenstufe des Anlegers, es läßt sich die Tausende, die Milliarden Regentropfen gefallen; aber so sehr Lukas sich auch anstrengt, es gelingt ihm nicht, das Eindringen eines einzigen Tropfens in die Meereshaut zu sehen: das Meer liegt mit angehaltenem Atem da, und in seine glatte türkisgrüne Brust stürzen die Regenspieße und zersplittern. Auf dem Rückweg kniet er sich neben einen riesigen Poller, einen dieser Stahlköpfe, um deren Hals die dicken Taue der Passagierdampfer und Kriegsschiffe gelegt werden, einige Stellen glänzen abgewetzt, andere sind gerötet vom Rost, er tastet mit den Fingern die Rostkrusten ab, da stößt ihm eine Windböe den schwarzen Filz vom Kopf, der sich schnell mit Meerwasser vollsaugt.
    Durch die Scheiben einer Telefonkabine schaut er später auf einen fast völlig verlassenen Lastwagen-Parkplatz, er findet nicht genug Telefonmünzen in der Tasche, er kann weder Livia noch irgend jemanden anrufen, die Telefonzelle nebenan ist leer, beide stehen in

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