DavBen-StaderDie
beschließe, dass ein bisschen Ehrlichkeit nie schaden kann, beschließe, an seine Menschenliebe zu appellieren. Ich zwinkere ihm zu, sage, dass ich 'ne Nummer geschoben habe, während ich auf die Rückfahrt ins Hauptquartier wartete. Man sollte meinen, er hätte gegrinst und mir auf den Rücken geklopft und gesagt, nächstes Mal soll ich mir einen Urlaubsschein besorgen, wenn ich mein Bataillon verlasse. Vier Monate lang war ich an der Front, während dieser elende schnurrbärtige Wicht in Piter herumspaziert und Soldaten verhaftet, weil sie ihren Eltern ein bisschen Fleisch gebracht haben, eine Tüte Reis. Das war mein Fehler. An die Menschenliebe eines Bürokraten zu appellieren. Er lässt mir von seinen Männern Handschellen anlegen, lächelt mich dann von oben herab an und teilt mir mit, dass General Stelmach in Tichwin ist, zweihundert Kilometer weit weg, und gerade eine wichtige Schlacht gewonnen hat.«
»Den Namen Stelmach hättest du nicht erwähnen dürfen. Das war dumm von dir.«
»Natürlich war das dumm! Aber mein Schwanz war ja noch nass!« Einige Partisanen brummten, Kolja solle die Klappe halten, und er senkte die Stimme. »Mein Verstand funktionierte noch nicht richtig. Mir ging einfach nicht in den Kopf, was der Kerl mir da vorwarf. Begreifst du, wie schnell sich alles ändern kann? Nachmittags war ich noch ein Soldat mit gutem Leumund, und jetzt, fünf Stunden später, werde ich der Fahnenflucht beschuldigt. Ich dachte, sie würden mich gleich hier auf der Straße erschießen. Aber stattdessen brachten sie mich ins Kresty-Gefängnis. Und da bin ich dir begegnet, mein launischer kleiner Hebräer.«
»Wie ist Julia gestorben?«
»Was? Keine Ahnung. Vermutlich ist sie verhungert.«
Wir lagen einige Minuten still da, hörten zu, wie die Männer um uns herum schliefen, die einen ruhig, die anderen rasselnd und nasal, wieder andere pfeifend wie der Wind im Schornstein. Ich versuchte Vika unter den anderen herauszuhören, wollte wissen, was für Geräusche sie bei Nacht machte, aber das war unmöglich.
Ich hatte mich über Kolja geärgert, weil er mich mit seinem endlosen Gerede wach hielt, aber in der Stille fühlte ich mich plötzlich einsam.
»Schläfst du?«, fragte ich.
»Hm?«, murmelte er benommen, der überall sofort einschlief - nachdem er seine Geschichte losgeworden war - und bereits ins Reich der Träume hinüberglitt.
»Warum ist es nachts dunkel?«
»Was?«
»Wenn es Milliarden von Sternen gibt und die meisten davon genauso hell sind wie die Sonne und das Licht sich immer und ewig ausbreitet, wie kommt es dann, dass es nicht immer hell ist?«
Ich erwartete eigentlich keine Antwort. Ich dachte, er würde schnauben und mir sagen, ich solle endlich schlafen, oder eine passende Antwort parat haben wie: »Nachts ist es dunkel, weil die Sonne untergegangen ist.« Stattdessen setzte er sich auf und sah zu mir herunter. Im flackernden Licht des Ofens konnte ich seine gerunzelte Stirn sehen.
»Das ist eine ausgezeichnete Frage«, sagte er. Er dachte einige Zeit darüber nach, den Blick in die Dunkelheit außerhalb des Lichtscheins des Ofens gerichtet. Schließlich schüttelte er den Kopf, gähnte und legte sich wieder hin. Zehn Sekunden später schnarchte er schon, atmete zischend ein und röchelnd wieder aus.
Ich war immer noch wach, als der Wachposten von draußen hereinkam, seine Ablösung weckte, im Ofen Zweige nachlegte, die er gesammelt hatte, und sich dann im Kreis der aneinandergedrängten Körper schlafen legte. Eine weitere Stunde lang hörte ich zu, wie Astknoten im Feuer platzten, dachte an Sternenlicht und Vika, bis ich dann endlich einschlief und träumte, dass es dicke Mädchen regnete.
19
Der Partisan, der Wachdienst hatte, weckte uns vor Mittag, als er in die Hütte gestürzt kam und trotz seiner Panik versuchte, ruhig zu bleiben.
»Sie kommen«, sagte er. Wir waren auf den Beinen, bevor er den zweiten Satz herausbrachte, schnappten unsere Sachen, augenblicklich hellwach angesichts der drohenden Gefahr. Wir hatten in unseren Stiefeln geschlafen und konnten sofort aufbrechen. »Scheint eine ganze Kompanie zu sein. Mit Gefangenen.«
Korsakow streifte sich den Gewehrriemen über die Schulter. »Infanterie?«
»Hab keine Panzer gesehen.«
Dreißig Sekunden später strömten wir durch die schiefe Tür hinaus in den feindseligen Sonnenschein. Die fensterlose Hütte war so dunkel gewesen wie eine Gruft, und im grellen Mittagslicht konnte ich kaum die Augen aufmachen. Wir
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