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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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folgten Korsakow, und der unausgesprochene Befehl lautete schlicht: Lauft!
    Wir hatten keine Chance. Noch bevor der letzte Mann die Hütte verlassen hatte, hörte ich schon deutsche Stimmen brüllen. Ich wurde zum Tier, ohne einen Gedanken im Kopf, nichts als Angst, um mich anzutreiben. Die Luft war wärmer geworden, und der Schnee war schwer und nass, hängte sich an meine Stiefel, zog mich nach unten.
    Als ich neun war, kam eine Delegation berühmter französischer Kommunisten zu Besuch nach Piter, und die Partei putzte die Straßen heraus. Arbeiter, die Zigarette zwischen die Lippen geklebt, go ssen frischen Teer auf die Woinowa Uliza und strichen ihn mit großen langstieligen Kellen glatt, sodass meine Straße aussah wie ein Boulevard aus geschmolzener Schokolade. Ich hatte den ganzen Vormittag zugeschaut, stand mit den Antokolski-Zwillingen direkt vor dem Eingangstor des Kirow. Ich kann mich nicht erinnern, dass etwas unsere kollektive Entscheidung ausgelöst hätte. Ohne ein Wort zu sagen, ohne uns auch nur anzuschauen, zogen wir die Schuhe aus, warfen sie in den Hof und spurteten über die Straße. Wir hätten uns die Fußsohlen verbrennen können, doch das kümmerte uns nicht; wir hinterließen unsere Fußabdrücke in der weichen Straße und rannten weiter, bis wir die gegenüberliegende Seite erreichten, während die Arbeiter fluchten und uns mit ihren Kellen drohten, sich aber nicht die Mühe machten, uns zu verfolgen, da sie wussten, dass sie uns nie kriegen würden.
    Meine Mutter brauchte abends eine Stunde, um meine Füße sauber zu bekommen, die sie wütend mit Seife und Bimsstein bearbeitete. Mein Vater stand am Fenster, die Hände auf dem Rücken, und unterdrückte ein Lächeln, während er hinunter auf die Woinowa blickte. Unter den Laternen glänzte die Straße mustergültig, bis auf die Abdrücke von drei Paar kleinen Füßen, die den Belag verunzierten wie Seemöwenspuren auf nassem Sand.
    Über trocknenden Teer zu laufen war anders, als durch schmelzenden Schnee zu laufen; ich weiß nicht, warum die beiden Erinnerungen Seite an Seite fortleben, aber sie tun es.
    Gewehrschüsse hallten zwischen den Fichten wider. Eine Kugel pfiff vorbei, so laut und nah, dass ich mir seitlich an den Kopf fasste, um festzustellen, ob ich getroffen war. Ich sah den Mann vor mir zu Boden stürzen, und die Art, wie er fiel, sagte mir, dass er nie wieder aufstehen würde. Ich konnte nicht noch schneller laufen, und ich konnte nicht noch mehr Angst haben; zuzusehen, wie der Mann fiel, berührte mich innerlich nicht. In diesem Augenblick war ich nicht mehr Lew Abramowitsch Beniow. Ich hatte weder eine quicklebendige Mutter in Wjasma noch einen toten Vater in einem durch nichts gekennzeichneten Fleckchen Erde. Ich stammte nicht mehr väterlicherseits von Thora-Gelehrten mit schwarzen Hüten ab noch mütterlicherseits von kleinbürgerlichen Moskauern. Hätte mich in diesem Moment ein Deutscher beim Kragen gepackt, mich geschüttelt und in perfektem Russisch nach meinem Namen gefragt, ich hätte ihm keine Antwort geben können, hätte keinen einzigen Satz zusammengebracht, um ihn um Gnade anzuflehen.
    Ich sah, wie sich Korsakow umdrehte, um auf unsere Verfolger zu feuern. Doch bevor er einen Schuss abgeben konnte, riss ihm eine Kugel den Unterkiefer weg. Er blinzelte, die Augen noch hellwach, obwohl ihm das halbe Gesicht fehlte. Ich rannte an ihm vorbei, eine steile Schlucht hinauf und auf der anderen Seite hinunter, wo sich in einem schmalen Einschnitt im Gelände ein Wildbach gebildet hatte, dessen gluckerndes Schmelzwasser sich an herabgestürzten Felsbrocken und abgebrochenen Ästen vorbeischlängelte.
    Einem dumpfen Instinkt folgend, schwenkte ich von meinem Kurs ab und folgte dem Bach, rannte auf den glitschigen Steinen talabwärts, schneller nun, da ich nicht mehr im Schnee war. Mein Körper wartete auf die unvermeidliche Kugel, den Bolzen, der zwischen meinen Schulterblättern einschlug, mich mit dem Gesicht nach unten ins kalte Wasser schleudern würde. Trotz allem war ich erstaunlich flink, meine Füße suchten sich den nächsten festen Halt, ohne das Gehirn zu konsultieren, meine Stiefel platschten durch das eisige Wasser, ohne zu straucheln.
    Ich weiß nicht, wie lange ich lief oder wie weit, aber irgendwann musste ich innehalten. Ich duckte mich hinter den Stamm einer alten Lärche, die herabhängenden Äste schwer vom schmelzenden Schnee, und setzte mich in ihrem Dunkel hin, um wieder zu Atem zu kommen. Meine

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