Dave Duncan
sie zu ihrem Stuhl zurück und runzelte mißbilligend die Stirn. »Eure Nichte sagt, sie hat die Wasserhöhlen noch nicht gesehen!« Welche Wasserhöhlen?
»Nun, wir sind erst kürzlich in Kinvale eingetroffen«, protestierte Tante Kade.
»Doch jetzt ist die beste Zeit des Jahres, sie zu besuchen, jetzt, wo das Wasser niedrig steht. Findet Ihr nicht?«
Geschickt drängte er Tante Kade dazu einzugestehen, daß sie die Höhlen in ihrer Jugend besucht hatte. Also konnte sie schlecht etwas dagegen einwenden, daß Andor eine Party für einige junge Damen und Herren arrangieren wollte, um ihnen die Höhlen zu zeigen. Er fuhr fort, über den jährlichen Aufstieg der Lachse zu sprechen, die so groß waren wie Schafe, über die Trauben in den Weinbergen, gigantische Mammutbäume, Schatzsuchen, königliches Tennis und Wasserfälle und Bootsausflüge mit Picknick, von Badefreuden in natürlichen heißen Quellen, über Falknerkunst und Fliegenfischen zu einem Dutzend weiterer hinreißender Möglichkeiten. Nichts deutete darauf hin, daß bei irgendeinem dieser Unternehmungen weniger als zwölf Leute anwesend sein würden, und er warf mit den Namen sehr ehrenhafter Begleiter um sich und schien offensichtlich mit beinahe jedem in Kinvale auf freundschaftlichem Fuße zu stehen, ebenso mit den meisten Bewohnern aus der Umgebung. Es war eine überwältigende Vorstellung, und Inos schwirrte der Kopf.
»Meine Nichte ist natürlich sehr mit ihren Musikstunden beschäftigt.«
»Aber meine Zeit ist knapp bemessen!« klagte Andor. »Sicher würde ein Rückstand von ein oder zwei Wochen ihrer musikalischen Karriere keinen irreparablen Schaden zufügen? Für die Wasserhöhlen sind einige Tage der Vorbereitung nötig, aber morgen…«
Schließlich beschlossen einige der anderen Damen, daß Inos und Kade ihn lange genug mit Beschlag belegt hatten und entführten ihn zart. Inos seufzte tief und lächelte in ihre vernachlässigte Stickerei.
Plötzlich erschien ihr Kinvale nicht mehr so sehr wie ein Gefängnis. Wenn der erstaunliche junge Andor nur einen Bruchteil dessen wahrmachen würde, was er in dem Gespräch versprochen hatte, würde sie in Kinvale Spaß haben. In Krasnegar hatte es niemanden gegeben, der ihm an Charme gleichkam. Oder an Aussehen. An ihm war etwas Aufregendes, das Inos noch nie kennengelernt oder von dessen Existenz sie auch nur etwas geahnt hatte.
Sie bemerkte, daß die Stille Bände sprach. »Was für ein… angenehmer Mensch.«
»Es ist schön, etwas gut Gemachtes zu sehen«, stimmte Tante Kade selbstgefällig zu.
Inos fragte sich, was diese Bemerkung genau bedeuten sollte. »Vielleicht wird doch noch etwas passieren!«
»Vielleicht, Liebes.« Tante Kade hielt ihr Strickzeug weit von sich und betrachtete es mit zusammengekniffenen Augen. »Aber ich bin hier, um dafür zu sorgen, daß nichts passiert.«
2
Der Mond schwebte wie ein silbernes Boot über dem Sonnenuntergang, als ein durchnäßter Stocherkahn den Fluß hinunterglitt, mit Inos und Andor… und einigen anderen.
»Ihr habt nicht geschrieen, Hoheit.« Andors Augen glitzerten wie die ersten Sterne, die im Osten aufgingen.
»Wünscht Ihr, daß ich schreie, Sir?«
»Natürlich! Wir rohen Männer gewinnen wildes Vergnügen aus den Schreien der Frauen.«
»Ich muß meine Tante bitten, Schreiunterricht für mich zu arrangieren.« »Tut das! Und was haltet Ihr von den Wasserhöhlen?«
»Sie sind häßlich und langweilig. Man kann sie nicht sehen, ohne bis auf die Haut durchnäßt zu werden.«
»Das stimmt, Ma’am.«
»Weshalb meine Tante nicht mitkommen wollte.«
»Und mehrere andere Tanten.«
»Glaubt Ihr, wir können öfter dorthin fahren?«
Er lachte und lehnte sich auf seinen Stab, und seine hellen Augen und die weißen Zähne blitzten in der Dämmerung. »Ich glaube, die Wasserhöhlen ziehen nur einmal. Aber es gibt noch andere Möglichkeiten.«
Der Mond war ein gigantischer Kürbis, der die mitternächtliche Welt mit goldenem Licht überflutete, als die Nachtschwärmer vom Ball der Beerenpflücker zurückkehrten…
Der Mond war ein dünnes Grinsen im Osten, als die erstaunten Bewohner von Kinvale bei Morgengrauen durch die Klänge eines kleinen privaten Orchesters auf der Terrasse unter ihren Fenstern erwachten, das Sir Andor zu Ehren des Geburtstages von Prinzessin Inosolan dirigierte…
Es war kein Mond zu sehen, als Andor Inos auf den Balkon geleitete. Die schweren Vorhänge schlossen sich hinter ihnen und dämpften
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