Dave Duncan
Selbst die Gegenwart einer solch himmlischen Schönheit reicht nicht aus…«
Inos nahm wieder Platz, und die blumigen Phrasen, die der Herzog und Tante Kade anscheinend ernst nahmen, flossen weiter, während sie sich ganz sicher war, daß dieser junge Andor sich lustig machte und wünschte, daß sie mit ihm lachte. Es war eine wunderbare Überraschung, daß sie nicht der einzige vernünftige Mensch auf der Welt war. Dann murmelte der Herzog einige Entschuldigungen und ging davon, wobei er zwischendurch stehenblieb, um weitere Willkommensgrüße auszusprechen. Aus der Gesellschaft erhob sich allgemeine Mißbilligung – offensichtlich war der aufsehenerregende Andor extra für Inos mitgebracht worden, und das wurde als schändliche Bevorzugung betrachtet.
Tante Kade verstand den Wink und bat ihn, sich zu setzen. Er folgte ihrer Aufforderung und betrachtete Kade mit einem Ausdruck der Verwunderung im Gesicht.
»Das ist natürlich Euer Portrait in der Galerie«, sagte er. »Ich habe es sofort erkannt. Es stellt alle sogenannten Schönheiten in den Schatten und wird Euch doch nicht gerecht.«
Tante Kade war geschmeichelt. »Es wurde vor vielen Jahren gemalt.« »Aber ein wenig Silber veredelt die schönsten Edelsteine, und sonst hat sich nichts geändert. Euer Gesicht…«
Inos hatte in dem vergangenen Monat einige unerhörte Schmeicheleien gehört, aber nichts kam dem gleich, was nun folgte. Wie ein geübtes Marktweib, das Fisch filetiert, reduzierte Andor Tante Kade mit schnellen, geschickten Stichen auf ein errötendes Etwas. Derartig übertriebene Komplimente konnten wohl kaum ernst genommen werden, dennoch wurden sie in der Hand eines Experten zu einem wirkungsvollen Mittel.
Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf Inos. Sie fragte sich, zu welcher Heuchelei er sich jetzt wohl aufschwingen mochte, doch da war wieder das zynische Zwinkern in seinen Augen, und er überraschte sie einmal mehr.
»Aber Ihr, Ma’am… nun, wenn ich so darüber nachdenke, mißfällt mir Eure Erscheinung sehr.«
Inos hatte sich ein kleines Lächeln von damenhafter Bescheidenheit vorgenommen; überrascht begann sie zu stottern. Tante Kade öffnete ihren Mund, um zu protestieren, doch sie schloß ihn wieder.
»Der Perfektion so nahe zu kommen«, sagte Andor, legte seinen Kopf auf die Seite und gab vor, sie genau zu betrachten, »und sie dann nicht zu erreichen, ist eine Sünde gegen die Kunst. Eine viel geringere Schönheit, die sich innerhalb ihrer Grenzen bewegt, würde diese Aura der Fehlbarkeit nicht vermitteln.« Er lehnte sich zurück, um sie besser sehen zu können. »Was hier fehlt, ist… ja… was hier wirklich fehlt… ist ein Hauch von Feuer. Dann würden wir die Göttlichkeit sicher sehen!«
Er streckte seine Hand aus, in der er Inos’ Brosche hielt.
Sprachlos vor Erstaunen untersuchte Inos die Brosche.
Tante Kade zeigte sich belustigt und verlangte eine Erklärung.
»Eine äußerst merkwürdige Geschichte!« sagte Andor feierlich. »Kurz nach Sonnenaufgang heute morgen ritt ich mit meinem Jagdpferd aus, drüben auf der anderen Seite des Parks, als ich einen Vogel mit etwas Glänzendem vorüberfliegen sah…«
Hätte er mit unbewegtem Gesicht gesprochen, dachte Inos, dann hätte sie ihm sicher geglaubt, doch jedesmal, wenn Tante Kade ihn nicht ansah, erstrahlte auf seinem Gesicht ein geheimes Grinsen, und Inos stand kurz vor einem Kicheranfall.
»Ich glaube, Ihr könnt sogar den Baum sehen, in dem die Dohlen ihr Nest haben«, sagte er, erhob sich und blickte über den See. »Ja, dort.« Er streckte den Finger aus, und Inos mußte aufstehen, um zu sehen, worauf er zeigte. »Nein, weiter nach links…« Er führte sie über die Wiese.
Wenig später – Inos versuchte immer noch, den Baum mit dem Nest der Dohlen zu erspähen – stellte sie fest, daß sie außer Hörweite von Tante Kade waren.
Andor, der immer noch seinen Arm ausstreckte, sagte: »Ist es hier nicht zum Kotzen?«
»O ja!« Inos spähte zum Schein für die vielen mißbillig blickenden Zuschauer an seinem Arm entlang und sagte: »Zum Verrücktwerden. Gibt es wirklich einen Baum mit einem Dohlennest?«
»Ihr Götter, nein! Ich habe Eure Brosche gestern abend auf dem Teppich gefunden. Die Nadel war locker. Ich habe sie reparieren lassen. Reitet Ihr gerne?« Er blickte am Horizont entlang, und sie nickte, als zeige er ihr die Landschaft und lenke ihren Blick auf das mythische Nest der Dohlen. »Angeln? Bootfahren? Bogenschießen? Gut!«
Er führte
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