Dave Duncan
hatte in Kinvale beinahe keinen Mann ihres Alters kennengelernt. Anscheinend wurden Männer, die noch ihre Akne und einen hüpfenden Adamsapfel hatten, außer Sichtweite vornehmer Gesellschaft gehalten, und jetzt glaubte sie schon, sie müsse sich auf die Männer in den frühen Zwanzigern einrichten. Dieser hier würde es für den Anfang tun. Er war so groß wie der Herzog, dunkel und schlank, und sein tiefblaues Wams und die weiße Hose stellte selbst den Anzug des Herzogs in den Schatten. Er trug keinen Umhang, was sehr mutig war – es unterstrich seine Jugend – und bewegte sich voller Anmut. Ja! Ein wenig älter, als es ihr normalerweise gefiel, aber… gar… nicht… schlecht.
»Nicht starren, Liebes«, murmelte Tante Kade, die ihr Strickzeug auf Armeslänge von sich hielt und den Blick erhob. »Sie kommen zu uns…« »Was? Ich meine, wie bitte?«
»Es sieht so aus, als kämen sie zu uns herüber«, sagte Tante Kade zu ihren Nadeln. »Doch natürlich müssen sie erst den anderen die Ehre erweisen.«
»Er ist das, was man hier einen jungen Mann nennt, oder? Ich glaube, wir hatten einige davon in Krasnegar.«
»Sarkasmus ist nicht damenhaft«, sagte Tante Kade sanft. »Versuche, dich nicht allzu begeistert zu zeigen. Er war gestern abend auf dem Ball.«
»Ich habe ihn nicht gesehen!«
»Er hat dich bemerkt.« In Tante Kades Lächeln spiegelte sich Befriedigung.
Wütend tat Inos so, als konzentriere sie sich auf ihre Stickerei.
Die Erwähnung des vorangegangenen Abends hatte sie wieder an die Tragödie erinnert – sie hatte die Rubinbrosche ihrer Mutter verloren. Sie konnte sich selbst nicht verzeihen, daß sie so sorglos gewesen war. Sie war sicher, daß sie sie noch hatte, als sie ins Bett ging, und daß sie sie abgenommen und auf ihren Ankleidetisch gelegt hatte. Doch war das offensichtlich unmöglich, denn am Morgen war die Brosche nicht mehr da gewesen. Natürlich war die Tür ihres Zimmers verriegelt gewesen – darauf bestand Tante Kade. Sie hatten sogar Diebstahl in Betracht gezogen, waren jedoch gezwungen, diesen Gedanken wieder zu verwerfen. Selbst eine Zirkustruppe hätte nicht in ihr Fenster eindringen können. Von allen Erbstücken, die ihr Vater ihr gegeben hatte, war die Rubinbrosche ihrer Mutter ihr am liebsten gewesen, und jetzt war sie so undenkbar sorglos und dumm gewesen und undankbar und –
Der Herzog! Sie sprang eilig von ihrem Stuhl auf.
»Sir Andor«, erklärte Herzog Angilki. »Prinzessin Kadolan von Krasnegar.«
Der junge Mann beugte sich über Tante Kades Hand. Ja, wirklich sehr hübsch! Er war natürlich ein Imp – und wie sehnte sich Inos jetzt nach dem Anblick eines großen blonden Jotunn, nur um die Monotonie zu unterbrechen – aber er war nicht klein, und er war nicht dunkelhäutig. Sein Haar war schwarz, aber seine Haut zeigte einen strahlenden, gesunden Teint, eine zarte Haut mit nur einem leichten bläulichen Schatten am Kinn, um die perfekten und regelmäßigen Gesichtszüge vor allzuviel Weiblichkeit zu bewahren. Ansehnlich! Dann richtete er sich auf und wandte sich ihr zu, und sie sah lächelnde, dunkle Augen und perfekte, weiße Zähne. Nein, er war nicht bloß ansehnlich! Ansehnlich wurde dem nicht gerecht.
»Nun, Prinzessin Inosolan«, sagte ihr beleibter Gastgeber, »darf ich Eurer Hoheit meinen Freund Sir Andor vorstellen? Sir Andor, dies ist Prinzessin Kadolans Nichte.«
»Ich werde niemals diesen Tag vergessen«, sagte Sir Andor, »an dem ich all meine Vorstellung von Schönheit und Anmut verwerfen mußte, an dem alle anderen Damen meinem Blick entschwanden, an dem meine kühnsten Träume und all mein Sehnen plötzlich wertlos wurden durch meinen ersten Blick auf weibliche Perfektion in der göttlichen Gestalt von Prinzessin Inosolan.«
Er beugte sich vor, um ihre Hand mit seinen Lippen zu berühren. Inos suchte noch nach einer gleichermaßen ungeheuerlichen Erwiderung, als ihre Augen wieder die seinen trafen und sie sah, daß er lachte. Sie war so überrascht, daß sie gar nicht mitbekam, was sie sagte, aber anscheinend war es zufriedenstellend.
»Ihr seid gerade in Kinvale eingetroffen, Sir Andor?« fragte Tante Kade. »Vor zwei Tagen, Ma’am.«
»Ich versuche ihn dazu zu überreden, einige Zeit bei uns zu verbringen«, schnaubte der Herzog verstimmt, »aber er besteht darauf, daß er weiter muß.«
»Höchstens einen Monat!« sagte Andor. »Dringende Verpflichtungen rufen mich, doch ich weiß schon, daß mein Herz hier bleiben wird.
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