Dave Duncan
schien in einem Wirbel zu versinken. Da war nur noch Andor, Andors kräftige Arme, die sie fester hielten, als sie jemals gehalten worden war, Andors wunderbarer männlicher Körper, der sich fest an den ihren drückte, so wie sie es sich oft erträumt hatte, Andor, der sie mit seinen verwirrend glitzernden, dunklen Augen ansah – Augen, die voller Freude sein sollten, in denen jedoch der Schmerz des Abschieds geschrieben stand.
»Meine Hand«, wiederholte er leise. »Mein Leben. Ich kam nach Kinvale, um hier einige Tage zu verbringen, bevor ich einem alten Freund der Familie zu Hilfe eile. Ihr habt Eure Brosche verloren; ich habe sie zurückgegeben und mein Herz verloren. Ich wußte es gleich am ersten Tag. Ihr seid anders als alle Frauen, die ich je kennengelernt habe. Wenn Ihr einen Ritter wollt, der Eure Feinde niederschlägt, dann ist mein Arm Euch zu Befehl, und mein Blut soll für Euch vergossen werden. Wenn Ihr einen Stalljungen braucht, dann werde ich Euer Stalljunge sein. Hundeführer, Dichter, Bootsführer… Was immer Ihr wollt, ich werde es für Euch sein, Eure wunderbare Hoheit. Immer. Und wenn Ihr Euch hin und wieder zu einem Lächeln in meine Richtung herablassen würdet, wäre dies für mich der Lohn, nach dem sich meine Seele sehnt.«
Sie konnte nicht antworten. Es war unglaublich. Sie hatte es nicht zu hoffen gewagt. Sie erhob ihre Lippen in Erwartung eines Kusses – Licht erhellte den Balkon, als Tante Kade den Vorhang zur Seite schob. »Inos, mein Liebes, wir brauchen noch ein Paar für die Quadrille.«
3
Der Sommer ging mit Würde dahin.
Als der erste Hauch von Herbst die Blätter in Kinvale färbte, marschierten die Truppen des Winters im Triumphzug in den Bergen von Krasnegar ein. Wie eine besiegte Armee auf dem Rückzug zogen die Arbeiter wieder in die Häuser am Strand, wo sie sich sammelten und zum letzten Gefecht rüsteten. Die Gipfel der Berge waren weiß, der Himmel dunkel, und selbst die salzigen Lachen der Gezeiten waren morgens mit Eis bedeckt. Wildgänse, weiser als die Menschen, flogen gen Süden und kreischten ihre traurigen Warnungen.
Jetzt waren die Nächte so lang wie die Tage. Der Damm konnte im Dunkeln nur bei Vollmond überquert werden, wenn die Wolken nicht zu dicht waren, doch reichte diese Zeit nicht aus, die anfallenden Arbeiten zu erledigen. Diese beiden letzten Wochen waren jedes Jahr ein Problem. In manchen Jahren war der Mond eine Hilfe, in anderen wieder nicht. Die Wagen machten sich auf den Weg, sobald die Ebbe kam, und die letzte Wegbiegung wurde in den Klauen der Flut genommen. Auf der Inselseite wurde oft sofort der Hügel zum Schloß erklommen – und eilige Hände löschten die Ladung und schickten den Wagen gleich zurück. Männer und Pferde arbeiteten und ruhten sich aus, die Wagen rollten unaufhörlich, und wenn die Flut kam, wurde die Ladung bis zum Landende des Dammes gebracht und gleich wieder neue geholt. Die Menge der wartenden Güter wurde immer größer statt kleiner.
Zu der flüchtigen Ansiedlung bei den Hütten am Strand stieß der Hirtenjunge Rap, der die Ladungen brachte, welche die Hirten den Sommer über eifersüchtig gehütet hatten. Er kam kurz nach Sonnenuntergang an. Schneeflocken wirbelten ziellos durch die Luft – eine Warnung des Wintergottes, aber noch kein ernster Angriff.
Rap schloß das Tor des Gatters, warf sein Sattelzeug zur Seite über den Zaun und machte sich auf in die Dunkelheit, um etwas zu essen zu finden. Er war erschöpft und fühlte sich schmuddelig in seinen Fellen, und auf seiner Oberlippe zeigten sich Stoppeln, aber sein dringendstes Problem war der Hunger.
Der Kiesstrand war eine Hölle aus kontrolliertem Chaos. Das überzählige Vieh wurde hier geschlachtet und verarbeitet, das Fleisch in großen Tonnen gesalzen, die Knochen gekocht, die Häute gereinigt und für spätere Weiterverarbeitung gebündelt. Blut und Innereien wurden gesammelt und zu Wurst verarbeitet. Nur hier und zu dieser Zeit stand dem gemeinen Volk von Krasnegar frisches Fleisch zur Verfügung, und das Wasser lief Rap im Munde zusammen, als er daran dachte.
Die flackernden Flammen des offenen Feuers aus Treibholz tanzten im Wind und warfen überirdische Schatten auf die hohen Stapel von Häuten und Torf und Heu. Schneeflocken wirbelten über den harten dunklen Boden und suchten sich geschützte Plätzchen im Schatten, wo sie kleine Verwehungen bildeten. Der Wind brachte Rauch mit sich – zunächst mit den Gerüchen feinster Küche, dann
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