David Trevellyan 01 - Ohne Reue
Wollen Sie zusehen?«
» Nein«, lehnte ich ab.
» Nun, das ist schade. Bleiben Sie hier, ich werde es Ihnen zeigen.«
Taylor steckte die Pistole ein und holte den Laptop von nebenan. Es war ein schweres, robustes Gerät mit einem Gummischutz, wie es Ingenieure im Freien benutzen. In der einen Hand das Gerät, mit der anderen einen Stuhl hinter sich herziehend kam er zurück und stellte es auf dem Frisiertisch ab. In diesem Augenblick läutete sein Telefon. Er klemmte es unters Kinn, damit er gleichzeitig den Computer hochfahren konnte.
» Das war Lesley«, erklärte er, als er das Gespräch beendet hatte. » Es gibt eine kleine Planänderung. Wir gehen nicht zu ihr, sie kommt zu uns.«
» Wann?«, fragte ich.
» Sofort. Offenbar sind ihre üblichen Plätze im Moment zu heiß. Das NYPD beobachtet alle ihre Immobilien. Die muss jemand richtig scharfgemacht haben. Sie kocht vor Wut und ist völlig paranoid. Hinter jedem Baum und Laternenpfahl sieht sie Polizisten.«
» Und wo ist sie jetzt?«
» Gleich um die Ecke. Sie ist in drei oder vier Minuten hier. Ich müsste fertig sein, wenn sie kommt.«
» Ist Tanya bei ihr?«
» Ja. Keine Sorge, Sie können sich bald von ihr verabschieden.«
Das änderte alles. Draußen vor dem Hotel standen mindestens fünf Limousinen des FBI von den toten und gefangenen Agenten herum. Die hatte mit Sicherheit noch niemand weggebracht. Normalen Menschen würden sie wahrscheinlich nicht auffallen, aber Lesley würde sie in einer Millisekunde erkennen. Besonders, wenn sie so misstrauisch war. Es wäre sinnlos, wenn Taylor sie anrufen und warnen würde. Sie kannte ihn noch nicht lange genug und würde ihm nicht glauben. Sie würde seinen Anruf nur als einen weiteren Beweis für eine Falle ansehen.
Mir blieben noch drei oder vier Minuten. Das reichte nicht. Die dreihundertzwanzig Menschen in Taylors Fadenkreuz mussten auf ihr Glück vertrauen. Diese Autos waren verräterisch, und sie waren meinetwegen da. Ich musste draußen auf der Straße sein, bevor Lesley sie sah. Sonst war mein Plan nicht Tanyas Rettung, sondern ihr Untergang.
Ich begann, die Fesseln um meine Gelenke zu lockern.
Taylor ließ seine Finger über das Touchpad gleiten. Der Bildschirmschoner wich einer Webseite. Oben waren zwei Schaltflächen. Die linke war aktiv und mit Monitor bezeichnet. Auf dem Bildschirm waren fünf runde Anzeigen zu sehen wie auf einem Armaturenbrett. Vier kleinere Anzeigen in den Ecken, eine große in der Mitte. Der Hintergrund war bei allen grün, und auf jeder zeigte eine Nadel auf eine Stelle in einem Zahlenkranz am Rand.
» Da«, sagte Taylor und deutete mit dem Finger auf die mittlere Anzeige. » Dreihundertzwanzig. Alle Geräte sind in Wi-Fi-Reichweite. Wir sind bereit.«
Dreihundertzwanzig Geräte. Damit meinte er dreihundertzwanzig Menschen, die bald dreihundertzwanzig Leichen sein sollten. Dreihundertzwanzig Leben, die ich opfern musste, um Tanya zu retten. Ich konnte diese Bedingung sofort akzeptieren, aber wie würde sie sich dabei fühlen? Nach Marokko hatte sie der Gedanke an einen einzigen Toten gequält. Und das drei Jahre lang. Würde sie damit leben können, wenn dreihundertzwanzig Menschen starben, damit ich sie retten konnte?
Taylor klickte auf den zweiten Schalter – Control –, und auf dem Bildschirm erschien das Bild eines altmodischen Lichtschalters anstelle der Anzeigen.
Er stand auf Aus.
Ich traf eine Entscheidung. Ich würde jetzt gehen. Ich musste so schnell wie möglich auf die Straße. Aber vorher würde ich Taylor aufhalten. Tanya zuliebe.
» Jetzt müssen wir nur noch …«, sagte Taylor, als ich meine Arme aus den Fesseln zog und ihn mit dem Ellbogen seitlich am Kopf traf, sodass er zu Boden fiel.
Das Kaninchen reagierte als Erster, rannte auf mich zu und versuchte, mir die Arme um den Körper zu schlingen. Ich sah ihn im Spiegel, wartete, bis er nur noch einen Schritt entfernt war, drehte mich dann zur Seite und rammte ihm meine rechte Faust tief in den Magen. Er knickte zusammen, konnte sich nicht mehr schnell genug aufrichten, und sein Nasenrücken krachte genau auf die Kante des Frisiertisches.
Er ging zu Boden, ohne einen Laut von sich zu geben.
Der andere hatte eine Hand an seiner Achtunddreißiger. Da er außer Reichweite war, riss ich meinen Stuhl hoch und warf ihn durch das Zimmer nach ihm. Das fühlte sich gut an. So etwas hatte ich seit meiner Schulzeit nicht mehr getan. Doch ich hatte meine Treffsicherheit nicht verloren. Die Lehne traf
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