David und Goliath
mit tiefster Predigtstimme: ›Kinder zurücktreten‹, und Männer traten vor. « 75
Einige Monate später beschloss Shuttlesworth, seine Tochter persönlich zur weißen Phillips High School zu begleiten, um sie dort einzuschreiben. Als er vorfuhr, versammelte sich ein wütender Mob weißer Männer um sein Auto:
» Vor den ungläubigen Augen der Tochter stieg der Vater aus dem Auto. Die Männer stürzten sich auf Shuttlesworth und bedrohten ihn mit Schlagringen, Knüppeln und Ketten. Auf dem Weg über den Gehsteig wurde er wiederholt zu Boden geschlagen. Jemand zog ihm seine Jacke über den Kopf, sodass er die Arme nicht mehr senken konnte ... ›Jetzt haben wir den Hurensohn‹, rief ein Mann. ›Bringen wir ihn um!‹ schrie die Menge. Und eine der Frauen aus der Zuschauergruppe kreischte: ›Macht den Scheißnigger platt, dann ist Ruhe!‹ Männer begannen damit, die Scheiben des Autos einzuschlagen. « 76
Und was passierte weiter mit Shuttlesworth? Nicht allzu viel. Es gelang ihm, sich in den Wagen zu retten und wegzufahren. Im Krankenhaus wurden einige Kratzer verarztet und eine kleinere Verletzung der Nieren festgestellt. Er verließ das Krankenhaus am Nachmittag, und noch am selben Abend stand er auf der Kanzel und verkündete der versammelten Gemeinde, er habe seinen Angreifern verziehen.
Shuttlesworth muss ein ungewöhnlich entschlossener und starker Mensch gewesen sein. Doch als er unverletzt aus den Trümmern seines Hauses kletterte, wurde seine psychische Rüstung noch widerstandsfähiger. Der Sieg über Angst erzeugt ein Gefühl der Freude.
Und was passierte vor der Phillips High School? Er überlebte ein weiteres Mal. Als er das Krankenhaus verließ, sagte Shuttlesworth den wartenden Journalisten: »Es ist das zweite Mal innerhalb eines Jahres, dass mir ein Wunder das Leben gerettet hat.« 77 Wenn der erste Siegüber die Angst Freude erzeugt, können wir nur ahnen, was der zweite bewirkt.
Wenig später fuhr Shuttlesworth mit einem Kollegen namens Jim Farmer nach Montgomery in Alabama, um sich dort in einer Kirche mit Martin Luther King zu treffen. Vor dem Gebäude hatte sich ein wütender Mob versammelt, der Südstaatenflaggen schwenkte, den Wagen aufhielt und drohte, ihn umzuwerfen. Der Fahrer legte den Rückwärtsgang ein und suchte eine andere Zufahrt, doch auch die war versperrt. Was tat Shuttlesworth? Wie vor der Phillips High School stieg er aus.
» Flaschen zerschlugen die Scheiben des Autos. Er hielt einen Moment inne, weil er einen sonderbaren Geruch wahrnahm – zum ersten Mal im Leben roch er Tränengas. Dann bedeutete er Farmer, ebenfalls auszusteigen, und marschierte in die Menge. Farmer folgte ihm ›mit einer Höllenangst‹ und versuchte, seinen wohlgenährten Körper in Shuttlesworths schmalem Schatten zu verstecken. Die Schläger wichen zurück, ließen die Knüppel sinken und Shuttlesworth ging auf die Kirche zu, ohne dass ein Fädchen an seiner Jacke gekrümmt worden wäre. ›Aus dem Weg‹, sagte er nur. ›Aus dem Weg.‹ « 78
Er hatte zum dritten Mal überlebt.
Der Verlust eines Elternteils ist nicht mit einem Bombenanschlag oder dem Angriff eines wütenden Mobs zu vergleichen. Es ist schlimmer. Es handelt sich nicht um einen einzelnen traumatischen Moment, und die Verletzungen heilen nicht so schnell wie ein Tritt in die Nieren oder eine Narbe. Aber was passiert mit Kindern, deren größte Angst Wirklichkeit wird, und die feststellen, dass sie noch am Leben sind? Könnten sie eine ähnliche Erfahrung machen wie Shuttlesworth und die Überlebenden des »London Blitz«? Könnten sie eine Zuversicht gewinnen, die die Mutter der Courage ist?
»Die Beamten, die Shuttlesworth ins Gefängnis brachten«, schreibt McWhorter von einer der vielen Begegnungen des Predigers mit der weißen Obrigkeit, »schlugen ihn, traten ihm gegen die Schienbeine, beschimpften ihn als Affen und provozierten ihn: ›Warum schlägst dunicht zurück?‹ Und Shuttlesworth erwiderte: ›Weil ich euch liebe.‹ Er verschränkte die Arme und ging lächelnd den Rest des Wegs zum Gefängnis, wo er, da er nicht singen und beten durfte, ein Nickerchen hielt.« 79
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Als es Freireich gelang, die Blutungen zu stoppen, war dies ein Durchbruch. Auf diese Weise überlebten die Kinder so lange, dass man an eine Behandlung der Krankheit denken konnte. Doch die Leukämie selbst stellte die Ärzte vor noch größere Probleme. Damals gab es nur eine Handvoll von Medikamenten, die überhaupt Wirkung zeigten. Neben
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