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David und Goliath

David und Goliath

Titel: David und Goliath Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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dem üblichen Krebsmedikament Methotrexat kamen ein Antimetabolid namens Mercaptopurin und ein Steroid namens Prednison zum Einsatz. Doch diese Substanzen waren problematisch: Sie waren so giftig, dass sie nur in geringen Dosierungen verabreicht werden konnten, und deshalb konnten sie nur einen Teil der Krebszellen in den Körpern der Kinder zerstören. Die Patienten zeigten eine Woche lang Besserung, dann hatten sich die überlebenden Zellen wieder vermehrt und der Krebs kam mit Macht zurück.
    »An der Klinik arbeitete ein Wissenschaftler namens Max Wintrobe«, erinnert sich Freireich. »Er war eine internationale Koryphäe, weil er das erste Lehrbuch zur Hämatologie geschrieben hatte und weil er den aktuellen Stand der Behandlung von Leukämie bei Kindern dokumentiert hatte. Er hat einen Satz geschrieben, den ich meinen Studenten bis heute vorlese: ›Diese Medikamente bewirken mehr Schaden als Nutzen, da sie das Leid nur verlängern. Der Tod der Patienten ist unvermeidlich. Die Medikamente verschlimmern ihre Situation nur, weshalb sie nicht verwendet werden sollten.‹ Das war der führende Experte.« 80
    Doch Frei, Freireich und eine Gruppe von Kollegen am Krebszentrum von Buffalo waren überzeugt, dass die gängige Lehrmeinung falschwar. Wenn die Medikamente nicht genug Krebszellen töteten, bedeutete das dann nicht, dass die Kinder eine aggressivere Behandlung benötigten und nicht eine weniger aggressive? Warum kombinierte man nicht Mercaptopurin und Methotrexat? Die beiden griffen die Krebszellen von unterschiedlichen Seiten an. Vielleicht konnten die Zellen, die das Mercaptopurin überlebten, durch das Methotrexat erledigt werden? Und was wäre, wenn man der Mischung außerdem noch Prednison zugab?
    Dann stolperte Freireich über ein viertes Medikament namens Vincristin, das aus einer Pflanze namens Madagaskar-Immergrün gewonnen wird. Ein Mitarbeiter des Pharmaunternehmens Eli Lilly hatte es am Krebsforschungszentrum vorgestellt und zur Erprobung vorgeschlagen. Niemand wusste, wie es wirkte, doch Freireich ahnte, dass man es zur Behandlung von Leukämie einsetzen könnte. »Ich hatte 25   sterbende Kinder in der Abteilung«, sagt er. »Ich hatte ihnen nichts zu bieten. Ich habe mir gedacht, ich probier’s einfach mal aus. Warum denn nicht? Wenn wir nichts versucht hätten, wären sie auch gestorben.« Vincristin schien vielsprechend. Freireich und Frei erprobten es an Kindern, die nicht mehr auf die anderen Medikamente ansprachen, und einige zeigten vorübergehende Besserung. Also baten Frei und Freireich das Aufsichtsgremium des Krebsforschungsinstituts, die vier Medikamente gleichzeitig einsetzen zu dürfen.
    Heute wird Krebs für gewöhnlich mit »Cocktails« behandelt, komplexen Mischung aus zwei, drei, vier oder fünf Medikamenten. Doch Anfang der 1960er Jahre war dies ein unerhörter Gedanke. Die damals bekannten Krebsmedikamente waren einfach zu gefährlich. Selbst Freireichs Neuentdeckung Vincristin war verheerend. Das musste er sehr schmerzlich erfahren: »Es hat schreckliche Nebenwirkungen. Es löst schwere Depressionen und Neuropathien aus. Es hat die Kinder gelähmt. Ab einer giftigen Dosis sind sie ins Koma gefallen. Von den ersten 14   Kindern, die wir damit behandelt haben, sind ein oder zwei an den Folgen gestorben. Es hat ihnen regelrecht das Gehirn weggeätzt.« Max Wintrobe hielt es für menschlicher, die Kinder überhaupt nicht mit Medikamenten zu behandeln. Freireich und Frei wolltengleich vier Medikamente verwenden, und zwar gleichzeitig. Frei bat den Beirat des Krebsforschungszentrums um die Genehmigung, doch erfolglos.
    » »Im Beirat saß ein Hämatologe namens Carl Moore, der zufällig ein Freund meines Vaters war«, erinnerte sich Frei später. »Ich habe ihn immer als Freund angesehen. Aber nach meinem Vortrag war er empört. Er hatte nichts mit Kinderkrankheiten wie Leukämie zu tun, also hat er sich über das Hodgkin-Lymphom bei Erwachsenen ausgelassen. Er hat gesagt, einem Patienten mit Hodgkin-Lymphom könne man als Arzt nur raten, irgendwo ans Meer zu ziehen und das Leben zu genießen. Und wenn die Symptome überhandnähmen, dann solle man sie mit einer schwachen Bestrahlung und vielleicht einer kleinen Dosis Stickstofflost behandeln. Eine aggressivere Behandlung sei ethisch nicht vertretbar, und vier Medikamente auf einmal zu verabreichen sei völlig gewissenlos.« «
    In ihrer Verzweiflung gingen Frei und Freireich zu ihrem Vorgesetzten. Gordon Zubrod hatte mit

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