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Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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hatte.
    Doch auch das lief ins Leere. Die Archivarin konnte ihm zwar mitteilen, dass eine gewisse Judas-Film GmbH »Das Corps« hergestellt
     hatte. Diese Firma aber – und auch das fand sie innerhalb von Sekunden mit ihrem Computer heraus – war bereits 1997, also
     kurz nach der Fertigstellung des Films, aufgelöst worden. Außer dem »Corps« hatte sie nichts produziert.
    Flo ließ nicht locker. Wer besitze denn dann die Rechte an dem Film, wollte er wissen. Es konnte doch nicht sein, dass alle
     Spuren im Sand verliefen, irgendeinen Ansprechpartner musste es doch geben! Aber auch das brachte ihn nicht weiter. Da es
     offensichtlich weder möglich war, den ganzen Film, noch Ausschnitte davon zu bekommen, hatte auch die Frage des Rechteinhabers
     – so weit die Archivarin das in ihren Unterlagen sehen konnte – bisher nicht geklärt werden müssen.
    Schon wollte er resigniert auflegen, da bemerkte sie noch, dass sie wenigstens ein paar Kritiken rüberfaxen könne, die zum
     Filmstart erschienen und archiviert worden waren.
    Besser als gar nichts. Flo nannte ihr die Faxnummer des Savoy, die auf dem bereitliegenden Briefpapier stand, dankte und beendete
     das Gespräch.
    Zehn Minuten später lag er mit den gefaxten Kritiken auf dem Bett und überflog die zum Teil nur schwer lesbaren Seiten. Dabei
     stellte er fest, was er damals schon mitbekommen, in der Zwischenzeit aber wieder vergessen hatte: Zunächst hatte Davids Film
     aufrichtige Empörung ausgelöst. Erst als ein scharfsinniger Kritiker Parteifür ihn ergriffen und behauptet hatte, dem Regisseur des »Corps« sei es gelungen, an die Stelle der gängigen Klischees ein
     realistisches Bild vom Verhältnis des Einzelnen zu seiner Gemeinschaft zu setzen, hatte sich das Blatt zu Davids Gunsten gewendet.
     Immer mehr Rezensenten hatten sich diesem Urteil angeschlossen und einen wahren Hype um den Film ausgelöst. Die zwiespältige
     Wirkung, die von dem Film ausging, hatte das allerdings nicht geschmälert. So hatte »Das Corps« bald als sogenannter Skandalfilm
     gegolten, der es locker mit anderen Klassikern aufnehmen konnte, die in der Vergangenheit dieses verkaufsfördernde Etikett
     verpasst bekommen hatten, wie etwa Marco Ferreris »Das große Fressen« oder Oliver Stones »Natural Born Killers«.
    Da Florian »Das Corps« damals nicht gesehen hatte, hatte er nie so ganz verstanden, warum der Film derart widersprüchliche
     Reaktionen auslösen konnte. Erst jetzt, als er die Kritiken durchsah, begann er den Grund dafür zu erahnen. Offensichtlich
     hatte David eine der klassischen Heldenreisen, die in vielen Filmen sehr erfolgreich erzählt werden, ganz einfach
auf den Kopf gestellt.
    Die Heldenreise, die er umgedreht hatte, bestand darin, dass die hartgesottene, abgebrühte Hauptfigur im Lauf der Geschichte
     ihr Herz, ihr Gewissen, ihre weiche Seite entdeckt. Bestes Beispiel: »Angels with dirty faces«, den David immer geliebt hatte.
     Darin entscheidet sich Cagney, der Gangster, auf dem elektrischen Stuhl, doch noch das Richtige zu tun und um Hilfe zu flehen,
     um so den Mythos zu zerstören, den die Nachwuchsganoven zweifellos aus seiner Person gemacht hätten. Oder »On the Waterfront«.
     Brando, ein tougher Werftarbeiter, der wiealle seine Freunde in einem Ringverein organisiert ist, entscheidet sich gegen die Korruption und damit gegen seine Kumpel.
     Filme also, in denen der Einzelne sein Gewissen wählt und das Richtige tut, auch wenn er alte Seilschaften damit zerstört.
     Auf den ersten Blick eine vielleicht etwas altbackene Fabel, die aber nach wie vor sehr erfolgreich erzählt wurde.
    Und genau
diese
Fabel hatte David in seinem Film umgedreht. Bei ihm fing es nicht damit an, dass ein Mann mit den anderen mitlief, und endete
     auch nicht damit, dass er sich für das Richtige und gegen seine Freunde entschied. Bei ihm fing es damit an, dass der Held
     ein Außenseiter war, der mit den verwerflichen Machenschaften seiner Kumpel nichts zu tun haben wollte, und endete damit,
     dass er mit den anderen mitlief, dass er sich ihnen anpasste. Der Effekt, den David dadurch erzielte, war natürlich auch genau
     der umgekehrte. Nicht erbaulich, sondern niederschmetternd. Aber genau das machte seinen Film zu etwas Besonderem.
    Je länger sich Flo jedoch mit den alten Kritiken herumschlug, desto dringender wurde sein Wunsch, sich endlich ein eigenes
     Bild von dem Film zu machen. Was genau war denn die Geschichte, die David im »Corps« erzählte?

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