Davids letzter Film
Thea sah ihn ernst an. »David hatte Monate gebraucht, um die Finanzierung auf die Beine zu stellen. Die
üblichen Geldquellen, Sender, Förderanstalten und so weiter, wollten nichts mit seinenIdeen zu tun haben. Also hat er angefangen, sich in der Privatwirtschaft umzuhören.« Sie atmete aus. Etwas schien sie zu bedrücken.
Flo beugte sich vor. »Und?«
»Schließlich fand er jemanden, der bereit war, in den Film zu investieren. Keine Ahnung, wie David ihn dazu bekommen hat.
Ein Galerist, der Anfang der Achtziger beim Boom des Kunstmarkts viel Geld verdient hatte. Er stellte David ein Budget von
knapp zwei Millionen Mark zur Verfügung. Das war damals viel Geld, davon konnten die anderen Filmstudenten nur träumen.«
»Und wieso kann man den Film heute nicht mehr sehen? Der lief doch auch ein paar Wochen regulär in den Kinos.«
Thea musste lachen. »David hat alle Kopien zerstört – aber das ist eine lange Geschichte.«
Flo staunte. »Zerstört? Erzähl!«
Jetzt, da die Erinnerung sie zum Lachen gebracht hatte, fiel ihm auf, dass ihre Augen unter den langen Wimpern grün-blau schimmerten.
Am liebsten wäre er um den Tisch herumgegangen, um sich das einmal ganz aus der Nähe anzusehen. Aber er blieb sitzen und hörte
ihr einfach nur zu.
»Während der Vorbereitungen zu dem Film stellte sich heraus, dass der Geldgeber ein anderes Ende als David wollte. Aber das
kam für David nicht infrage«, berichtete sie. »Also drehte er heimlich das Ende, das ihm vorschwebte, schnitt den Film, wie
er sich das gedacht hatte, und brachte ihn bei den Festivals unter. Seinem Galeristen aber zeigte er eine Kopie mit einem
anderen Ende – und zwar dem, das der gewollt hatte. So schöpfte derMann keinen Verdacht. Erst als der Film längst im Kino war, wurde ihm klar, dass David ihn hintergangen hatte. Du kannst dir
vorstellen, wie wütend er war.«
Ihre Augen blitzten. Flo musste grinsen. Das klang ganz nach David. »Und dann? Wie ging es weiter?«
»Der Mann hatte den Film bezahlt, das Ding gehörte ihm«, antwortete Thea. »Also veranlasste er, dass alle Kopien wieder eingezogen
wurden, und zwar wirklich alle. Es ging ihm nicht ums Geld. Davon hat dieser Galerist mehr als genug. Es ging ihm darum, David
zu beweisen, dass er ihm nicht auf der Nase herumtanzen konnte.«
»Wie hat David denn reagiert, als sein Film eingezogen wurde?«
»Er war natürlich außer sich. Aber er konnte nichts machen. Und es kam noch schlimmer. Sein Geldgeber beschloss, den Film
umzuschneiden. Er wollte ihn in der Form herausbringen, die ihm immer vorgeschwebt hatte. Und da David sich strikt weigerte,
diese Änderungen durchzuführen, beauftragte er einen anderen Regisseur.«
Flo blies die Backen auf. Etwas Schlimmeres hätte der Mann David wahrscheinlich nicht antun können.
Thea lachte. »Du kannst dir das Theater vorstellen! Der andere Regisseur erzählte schon überall herum, dass er eine ganz eigene
Vision für den Stoff entwickelt hätte. Möglicherweise hätte er den Film vollkommen verstümmelt. Für David ein unerträglicher
Gedanke. Also ist er zusammen mit Hannes in den Lagerraum des Kopierwerks gegangen, wo sämtliche Kopien aufbewahrt wurden.
Sie hatten einen Kanister Salzsäure dabei. Mit der Säure haben sie die Kopien binnen Sekunden zerstört. Als die Wachleute
kamen, war alles vorbei.«
»Um was ging es in dem Film eigentlich?«, nahm Florian das Gespräch wieder auf, nachdem der Kellner den Lammrücken gebracht
und sie den ersten Hunger gestillt hatten. »In den Kritiken stand etwas von einer Studentenverbindung. Ich erinnere mich noch
dunkel, dass David sich vor Jahren für so was interessiert hat. Ich konnte ihm da nie so recht folgen, verstand nicht, worauf
er hinauswollte. Ich weiß noch, wie es mich bedrückt hat, dass er für Sachen schwärmte, mit denen ich nichts anfangen konnte.«
Thea lächelte. »Mir hat er während der Arbeit am ›Corps‹ erzählt, du würdest absichtlich nicht wissen wollen, was er macht.
Wahrscheinlich, weil du selber Filme drehen wolltest, es aber nie geschafft hast, meinte er.« Sie zuckte zusammen, selbst
ein wenig erschrocken über das, was sie gerade gesagt hatte.
»Der Arsch!«, entfuhr es Flo. »Manchmal ist er echt ein Arsch, oder?«
Als Thea sah, dass er schmunzeln musste, lachte sie. »Ein Arsch? Kann man wohl sagen!« Sie schob ihren Teller beiseite. »Aber
du hast recht, der Film spielte in einem Studentencorps, unter den
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